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Ziemlich beste Freunde

Ziemlich beste Freunde

Titel: Ziemlich beste Freunde
Autoren: Phillipe Pozzo di Borgo
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rot geworden in ihrer Gegenwart. Nach dem Abendessen sitzen wir ums Kaminfeuer, trinken Wein und singen zur Gitarre. Ein Mädchen setzt sich neben mich. Sie lehnt sich an mich und legt den Kopf an meine Schulter. Sie ist eine Freundin von Alains Freundin, älter als ich und in einer französischen Familie in Vietnam aufgewachsen. Sie hat Schlitzaugen und dunkle Haut. Sie lacht und rückt noch näher. Ich kann jetzt ihren Pfefferduft riechen. Ich versuche, in den Flammen des Kamins zu verschwinden; aber keine Chance. Heißes Verlangen überkommt mich. Ich will dieses Mädchen. Als sie mich im Moment des allgemeinen Aufbruchs in das einzige Zimmer zieht, das etwas abseits liegt und in dem ein kleines Bett an der Wand steht, gehe ich mit, ohne mich umzudrehen. Seit Jahren träume ich von diesem Moment. Sie zieht sich ohne Umschweife aus und legt sich auf mich. Ich muss mich wohl ungeschickt anstellen, denn sie lächelt. Dann lacht sie: »Du hast ja deine Unterhose noch gar nicht ausgezogen!« Sie hilft mir. Wir bleiben einige Monate zusammen.
     
    *
     
    Trotz meiner Lähmung spielen mir meine abwesenden Sinne noch Streiche.
    Ich darf zum ersten Mal seit meiner Ankunft im Rehazentrum von Kerpape an der bretonischen Küste nach draußen gehen. Béatrice schiebt meinen neuen Rollstuhl zu einem kleinen Café am Strand. Sie setzt sich mir gegenüber. Hinter ihr hüpfen die Surfer über die Wellen. Der Himmel ist grau. Kalter Schweiß klebt mir im Nacken, aber ich möchte so lange wie möglich die Wärme von Béatrices Gesicht neben meinem spüren. Wie schafft sie es, den Schatten des Mannes, den sie einmal geliebt hat, immer noch mit diesem frisch verliebten Blick anzusehen?
    Ich muss husten, dann spucken. Besorgt schiebt sie mich zurück ins Rehazentrum. Die Krankenschwester diagnostiziert eine Lungeninfektion. Ich lande zum zweiten Mal auf der Intensivstation, im Krankenhaus von Lorient, und bekomme einen Luftröhrenschnitt. Eine Batterie von Flaschen verströmt ihr Gift. Die Venen meines linken Arms geben unter dem Druck nach. Er wird bis zum Ellbogen mit Alkoholkompressen bandagiert; es macht mich ganz benommen. Ich bin in einem Raum ohne Fenster. Es muss Nacht sein. Keine Krankenschwester weit und breit. Die roten, grünen und weißen Lämpchen der Apparate blinken. Ich verschwinde. Als plötzlich diese angenehme Empfindung über mich hereinbricht. Seit fast einem Jahr habe ich nicht mehr dieses köstliche Verlangen nach einer endlosen Umarmung mit Béatrice verspürt. Bilder von unseren ineinander verschlungenen Körpern überfluten mich. Plötzlich werde ich von Neonlicht geblendet: Béatrice beugt sich über mich. Sie braucht nicht lange, um die Regung, die mich ergriffen hat und die ich ihr durch Augenblinzeln mitzuteilen versuche, zu verstehen. Ich bitte sie, den Arzt zu informieren. Sie lacht, läuft auf den Flur. Der Arzt kommt genervt mit ihr zurück. Er hört das Objekt der Belustigung ab. Negativ. Phantomregungen. Schlaf, mein Engel.

Der Hintern des Engels
    Nach dem Aufwachen ist DA 7 . Dann Duschen.
    Alles ist schwarz. Ich existiere fast nicht mehr. Es gibt weder Körper noch Geräusche noch Empfindungen, außer vielleicht einem kleinen lauwarmen Luftzug, der durch meine Nasenlöcher streift. Plötzlich kippt alles zur Seite. Es geht wieder los. Mein Kopf sackt nach vorne. Ich höre das Rauschen der Dusche, spüre das Wasser auf meinem Gesicht. Ich öffne die Augen. Nach und nach erscheint ein Bild: Marcelle, die massige Martinikanerin mit der sanften Stimme, hat meine Beine auf ihren Schultern. Sie lächelt: »Da sind wir ja wieder, Monsieur Pozzo. Diesmal musste ich Ihnen gar keine Ohrfeige verpassen!« Mein rechter Arm hat den Halt verloren, ich bin auf dem Duschsitz zur Seite gekippt. Er hat Löcher.
    Ich bin nackt. Bis auf den Urinbeutel, der an einem langen Schlauch mit einer Art Kondom an meinem Penis befestigt ist. Ich kann nicht sitzen. Um zu überleben, muss ich mit dem riesigen Brustgurt festgeschnallt werden und die dicken Kompressionsstrümpfe angezogen bekommen, die mich von den Zehen bis zum Hintern einhüllen, damit ein kleiner Rest Blut in meinem Gehirn bleibt. Wenn ich ohnmächtig werde, bin ich ein Engel der Dunkelheit; Engel spüren nichts. Wenn ich ins Licht zurückkehre, Beine in der Luft, mit oder ohne Ohrfeige, überwältigt mich das Elend, und das Gleißen der Hölle treibt mir die Tränen in die Augen.
     
    Pozzo hat seine Potenz verloren. Er wird zum schiefen Turm von Pisa, immer
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