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Ziemlich beste Freunde

Ziemlich beste Freunde

Titel: Ziemlich beste Freunde
Autoren: Phillipe Pozzo di Borgo
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Buchstabens verankerte den Satz tiefer; ich genoss die Präzision.
     
    Ich hatte einen Kampfgefährten, dessen Augenblinzeln sein Stift war und der starb, nachdem der Schlusspunkt gesetzt war. 6
     
    Es schnürt mir die Kehle zu, wenn ich an all die denke, die gestorben sind, ohne zu reden, ohne Zeugnis abzulegen, hoffnungslos, einsam.
     
    Nachts schlafe ich schlecht in meinem Bett. Ich bin gelähmt. Später legen sie mir ein Tonbandgerät auf den Bauch. Es bleibt stehen, wenn es nichts mehr hört – oder wenn ihm danach ist –, und springt erst wieder an, nachdem das nächste Wort gesprochen wurde. Ich weiß nie, ob ich aufgenommen wurde oder nicht. Und oft ist einer von uns beiden kaputt.
    Es ist schwer, sich ohne weißes Blatt auszudrücken, ohne Bleistift zum Durchstreichen, nicht am Tisch zu sitzen, vor einem Blatt Papier, die Stirn in die linke Hand gestützt, sich nicht auf einem beschriebenen, zerknitterten Zettel austoben zu können. Nur eine fast verschwundene Stimme, die auf einem Tonband festgehalten wird, ohne etwas rückgängig machen, korrigieren zu können. Momentaufnahme eines zögernden Gedächtnisses.
     
    Ich habe den Faden verloren, es ist dunkel und ich habe Schmerzen. Mein Kopf zieht sich zwischen die Schultern zurück. Oben an meiner rechten Schulter durchbohrt es mich wie ein Dolchstich. Ich muss aufhören. Fis, der Kater, amüsiert sich damit, auf meinem bebenden Körper herumzuturnen, der sich auflehnt, als wollte er den Himmel um Gnade anflehen. Zitternd vor Krämpfen mache ich schlapp. Der Kater spielt mit diesem Körper, die ganze Nacht: Durch meine Zuckungen fühlt er sich so schön lebendig.
     
    Von den Schultern bis in die Finger- und Fußspitzen versengt mich ein Dauerfeuer, dessen Hitze manchmal, viel zu oft, noch zunimmt. Ich kann voraussagen, ob morgen schönes Wetter wird oder ob, wie es das Brennen in meinem Körper vermuten lässt, Regen bevorsteht. Ich spüre ein intensives Beißen in den Händen, im Gesäß, an den Schenkeln, um die Knie herum und unten in den Waden.
    Man streckt mich, in der Hoffnung, dass mir das Erleichterung verschafft. Aber die Schmerzen bleiben. Die Ärzte nennen sie »Phantomschmerzen«. Phantom meiner … Eier! Ich weine, nicht aus Traurigkeit, sondern vor Schmerz. Ich warte, bis die Tränen mich beruhigen. Warte, dass ich abstumpfe.
     
    Abends liebten wir uns flüsternd bei Kerzenlicht. Spät schlief sie in meiner Halsbeuge ein. Ich spreche immer noch mit ihr, ohne Antwort.
     
    Manchmal, wenn ich es vor Einsamkeit nicht mehr aushalte, rufe ich Flavia, eine Filmstudentin, zu mir. Sie hat ein breites Lächeln, einen wunderschönen Mund, eine fragende linke Augenbraue.
    Sie weiß nicht, dass das Gegenlicht sie enthüllt in ihrem leichten langen blauen Kleid, dass ihre siebenundzwanzigjährige Silhouette auch ein Phantom noch rühren kann. Ich diktiere ihr alles, ich empfinde keine Scham, sie ist durchsichtig.
     
    Der Kater nimmt wieder seinen Posten auf meinem Bauch ein. Wenn er sich dreht, verkrampft sich mein Körper, als wäre er empört über die Anwesenheit des Tieres, die Abwesenheit von Béatrice und dieses permanente Leiden.
     
    Aber ich sollte von den guten Momenten erzählen, ich sollte vergessen, dass ich leide.
    Ich würde gern mit den letzten Augenblicken beginnen, dem unvermeidlich bevorstehenden und manchmal herbeigesehnten Ende, das mich wieder zu Béatrice führen wird. Ich verlasse diejenigen, die ich liebe, um die wiederzusehen, die ich so sehr geliebt habe. Selbst wenn es ihr Paradies nicht gibt, weiß ich doch, dass sie dort ist, weil sie daran geglaubt hat und weil ich es möchte. Da sind wir dann, all unserer Leiden ledig, in inniger Umarmung, die Augen für alle Ewigkeit geschlossen.
     
    Béatrice, die du bist im Himmel, erlöse mich.
     
    6 J.-D. Bauby, Schmetterling und Taucherglocke , Zsolnay 1997.

Meine Sinne
    Ich war jemand. Jetzt bin ich gelähmt; ein Teil meiner Sinne hat sich davongemacht. Doch unter die quälenden Bisse der Lähmung mischen sich die köstlichen Erinnerungen an meine verflüchtigten Sinne.
    Sich Zentimeter für Zentimeter, Erinnerung für Erinnerung die Wahrnehmungen eines zertrümmerten Körpers ins Gedächtnis zu rufen bedeutet schon zu überleben.
    Von meiner gegenwärtigen Unbeweglichkeit aus das Chaos der toten Empfindungen zu einer Chronologie zu ordnen, bedeutet, mir die Vergangenheit zurückzuerobern, zwei bis dahin getrennte Leben miteinander zu verbinden.
     
    *
     
    Der Körper
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