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Cruzifixus

Cruzifixus

Titel: Cruzifixus
Autoren: Hans-Peter Dinesh Bauer
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Die M eister der Schatten
    Fortes fortuna adiuvat! Das Glück hilft dem Tüchtigen!
     
    Die Göttin des Glücks musste ein Teufelsweib sein – launisch, sprunghaft und unberechenbar. Hermann Altenbrunner beschlich das untrügliche Gefühl, dass ihm die Göttin ihre Gunst entzogen hatte. Dabei strahlte er nach außen unbedingten Siegeswillen aus und strotzte nur so vor Selbstvertrauen. Was sollten seine Männer denken, wenn ihr Führer in Selbstzweifel, Agonie und Niedergeschlagenheit versank. War er auch selbst nur ein Teilchen des Räderwerks, war er auch selbst nur eine winzige Tentakel jenes Molochs, der Mensch und Material verschlang, so war er doch der Hirte seiner ihm anvertrauten Herde.
                Und er war mehr als das. Er war Herr über Leben und Tod, ein Halbgott, der die pechschwarze Uniform mit den silbern glänzenden Epauletten eines SS-Offiziers trug. Es lag in seiner Macht Befehle zu erteilen, seine Untergebenen in den sicheren Tod zu schicken oder ihnen den Opfergang auf die Schlachtbank zu ersparen. Er durfte es sich nicht erlauben im Stile eines Stoikers oder Kynikers über die Unwägbarkeiten des Schicksals nachzugrübeln oder vergleichende Betrachtungen bezüglich des ambivalenten Verhältnisses von Glück und Unglück anzustellen. Männer der Macht durften nur in einfachen, klaren Kategorien denken und nicht in den zwielichtigen Zwischenräumen hypothetischer Gedankenspiele abtauchen. Das Diktum des Doktor Faustus war von unumstößlicher Stringenz: Das Schicksal war unabänderlich und gehorchte wenn überhaupt den absonderlichen Gesetzen der Wahrscheinlichkeit. Und Fortuna warf die Würfel.
                Unter den Schwingen des Todes glich das Überleben einem Glücksspiel. Wobei man nie wusste, ob der Schutzengel hinten im Sturmgepäck saß. Altenbrunner verließ sich deshalb lieber auf seinen siebten Sinn, auf Instinkt und Intuition. Um dem Feind das Fürchten zu lehren, musste man zuerst seine eigene Furcht überwinden. Um seine Überlebenschancen zu erhöhen, hieß es Fortuna ins Joch des Unterbewussten zu zwingen. Im Kugelhagel, im Trommelfeuer war er schnell zur Einsicht gelangt, dass der von den Brandrednern und Demagogen beschworene „glühende Geist heroischen Opfermuts“ nur eines bedeutete: sich blindlings wie die Lemminge den Abhang hinab zu stürzen. Er sah keinerlei vernünftigem Grund blind zu gehorchen oder die Parolen verbohrter Ideologen nachzuplappern. Über die Jahre an der Front war Altenbrunner vollends zum Zyniker, Zweifler und Pragmatiker mutiert. Der Krieg war ein Handwerk wie jedes andere – und ein blutiges dazu. Wer sich nicht aufs töten, sondern nur aufs sterben fürs Vaterland verstand, der war eine Gefahr für sich und andere. Diese von heroischem Kampfesmut und vaterländischer Gesinnung schwadronierenden Schwachköpfe schaffte man sich besser schnell vom Hals, indem man sie umgehend den so heiß ersehnten Heldentod sterben ließ. Die primäre Soldatenpflicht hieß: den eigenen Arsch retten. Mit den Jahren hatte er ein Gespür für Gefahr entwickelt, hatte er gelernt die Schachzüge des Gegners zu antizipieren. Dies und eine gehörige Portion Glück hatten ihm die Fährnisse der Front – von einigen Blessuren einmal abgesehen - unbeschadet überstehen lassen. Andere hatten weniger Glück gehabt – waren von Querschlägern getroffen, bei lebendigem Leib geröstet, von Granatsplittern durchsiebt worden. In manchen Nächten, Nächte in denen er keine Ruhe fand, hörte er die Todgeweihten winseln:
                „Wasser, Wasser! Hilf, Kamerad, hilf! Der Herrgott steh mir bei!“
                Altenbrunner hatte indes nie erlebt, dass sich Gott herbeiließ ein paar armen Teufeln Trost und Beistand zu spenden. In der ihm eigenen Ignoranz und Arroganz ähnelte der Herr der himmlischen Heerscharen den Herrn Generälen und Feldmarschällen des OKW. Die betressten Goldfasane hockten am Taktiktisch, wälzten Schlachtpläne und schoben Geisterarmeen hin- und her, während draußen der Iwan seine Muskeln spielen ließ, ihnen die Hosen stramm zog und die Front wie den Deckel einer Weißblechbüchse aufrollte. Vom Logenplatz des Olymps aus betrachtet, mochte sich das Grauen der Schlachtfelder, der Irrsinn des Kriegs als spannendes Schauspiel, als unterhaltsames Spektakel ausnehmen. Aus der Perspektive des Protagonisten erschien das Metzeln und Morden weniger ergötzlich, zumal einen der pestilenzialische Gestank nach Pisse,
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