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Zicke

Zicke

Titel: Zicke
Autoren: Sara Zarr
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Grips.
    Tatsächlich war der einzige Haken an Jason, dass er zufällig gerade der Freund meiner besten Freundin Lee war.
    Im Gegensatz zu Jason, der mich schon ewig kennt, hat Lee erst vor Kurzem den Status ›beste Freundin‹ erworben. Und zwar, als sie von einer Schule in San Francisco überwechselte und sich als total cool erwies. Nicht cool in dem Sinne, dass sie sich gut anzieht und alles über Musik oder so weiß, sondern cool, weil sie einer von den Menschen ist, die nicht versuchen, jemand zu sein, der sie nicht sind.
    |19| Ich lernte sie beim Sport kennen, als sie in unserer blöden Turnstunde beim Bockspringen flach auf den Bauch klatschte. Mrs Winch tönte: »Weiterlaufen, Lee, bis es nicht mehr wehtut, und dann wiederholen.« Und ich so: »’tschuldigung, aber ich glaube, sie atmet nicht mehr, und ich habe zum Teufel noch mal keine Lust, dass ich mir hier auch noch das Genick breche.«
    Wir bekamen beide eine Sechs für den Tag und eine Lektion von Mrs Winch über unsere ›lasche Einstellung‹.
    Danach hielt ich in der Schule die Augen nach ihr offen. Sie macht einen etwas schrägen Eindruck mit ihren kurzen Haaren, die nie richtig liegen, und ihren Klamotten, die ein klein bisschen angestrengt wirken. Ich schätzte, die verschrobene Fraktion unserer Schule würde sie recht schnell bei sich aufnehmen – so die Theaterfreaks und die Arbeitsgruppen zur Collegevorbereitung –, aber ich beobachtete sie eine Weile, und sie hatte niemanden. Was hieß, sie kannte wahrscheinlich noch nicht genügend Leute, um schon über mich Bescheid zu wissen. Also sprach ich sie an und bekam ein wenig den Eindruck, dass sie anders war als die meisten Mädchen, denen es nur wichtig war, wie sie aussahen, und die ständig über ihre angeblich besten Freundinnen ablästerten.
    Sobald wir dann öfter was zusammen machten, erzählte sie mir, dass ihr richtiger Vater ein Trinker sei und dass sie nicht wüsste, wo er steckte, und ich sagte ihr, das sei schon okay, mein richtiger Vater würde mich hassen. Als sie fragte, warum, erzählte ich ihr |20| von Tommy. Es war ein gutes Gefühl, dass sie
meine
Version und nicht die von Tommy erfuhr, die ohnehin jeder in der Schule kannte. Danach machte ich mir Sorgen, sie würde mich nicht mehr ausstehen können oder sich komisch benehmen, aber sie sagte einfach nur: »Na ja, alle haben irgendwas erlebt, das sie gern ändern würden, wenn sie könnten, oder?«
    Jedenfalls halte ich es für meine eigene Schuld, dass Jason mit ihr anbändelte. Dauernd redete ich von ihr, Lee hin, Lee her, und du solltest sie kennenlernen, Jay, du wirst sie mögen. So kam es dann auch.
    Mir war es egal, ehrlich. Jeder weiß, wenn du anfängst, deine Freunde rumzuschubsen, kannst du das Beste an der Freundschaft auf den Mond schießen. Ich versuchte mir einzureden, ich hätte den besseren Deal gemacht, denn wenn Lee und Jason miteinander Schluss machten, würden sie wahrscheinlich nichts mehr zusammen unternehmen – während ich nach wie vor seine Freundin sein würde.
    Ab und an jedoch passierte irgendeine Kleinigkeit, zum Beispiel, dass sie händchenhaltend den Flur langgingen und ich sie sah, sie mich aber nicht, und dann fuhr mir als Erstes durch den Kopf: ›Mein Gott, was für ein süßes Pärchen!‹ Und danach hatte ich gleich das Gefühl, ich würde etwas furchtbar Intimes beobachten, etwas, das er nur mit ihr hatte. Ich hatte immer gedacht, ich würde ihn besser kennen als alle anderen, aber sobald sie anfingen miteinander auszugehen, kam mir Lee wie eine Eingeweihte vor, auf eine Art, wie ich es nicht war.
    |21| Jason und ich hatten immer noch unsere gemeinsamen Tage, wie den letzten Schultag, nur wir beide allein, und, obwohl es einigermaßen untreu klingt, das zu sagen, in Stunden wie diesen tat ich dann so, als würde Lee gar nicht existieren.
    Bis er anfing von ihr zu reden.
    »… hab in der Vierten ’ne SMS von Lee gekriegt«, sagte er gerade. Unser Bus schlängelte sich den Crespi Drive hinunter zu der Apartmentsiedlung, wo wir beide wohnten. »Sie waren am Strand in San Luis Obispo.« Sie und ihre Familie waren an diesem Morgen nach Santa Barbara aufgebrochen, um ihren Bruder vom College abzuholen. »Wann kommt sie zurück?«
    »Übermorgen. Ihr Stiefvater muss wieder zur Arbeit.«
    »Verstehe.«
    Der Bus stoppte fauchend an meiner Haltestelle, wo ich mein ganzes Leben lang ausgestiegen bin, ein paar Nummern entfernt von uns, vor einem schimmlig grauen Haus, auf dessen Rasen fünf Autos
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