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Zementfasern - Roman

Zementfasern - Roman

Titel: Zementfasern - Roman
Autoren: Verlag Klaus Wagenbach <Berlin>
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und dann verschwinde ich. Es ist kalt, sehr kalt, ich bringe ihr nur das Essen und komme sofort wieder herunter.«
    »Ja, aber machen Sie schnell und lassen Sie sich so wenig wie möglich blicken, es sollen Fernsehaufnahmen gemacht werden.«
    Ippazio stieg noch ein paar Sprossen höher, als er merkte, dass er allein war und von allen entfernt, begriff er, dass der Moment gekommen war.
    Remo Frassino hatte sich unter die Wartenden gemischt, um zu fragen, ob jemand den Mann kannte, der nach oben gestiegen war. Er war erleichtert, als er die Leute erzählen hörte, wer der Mann war, und jeder fügte etwas Würze hinzu: »Wollen wir wetten, dass sie sich wieder zusammentun?«, »Ach, was redest du da, er hat doch noch nicht mal die Tochter kennengelernt!«
    Ippazio war unterdessen auf der Schwelle zu der Tür angelangt, die aufs Dach führte. Von dort sah er zwei Frauen mit Schals um den Hals, eine entrollte ein Spruchband der Länge nach, die andere säuberte einen kleinen Kochtopf mit Wasser aus einer Flasche. In ihren eifrigen Verrichtungen waren sie theatralisch, es war, als hätte man ihnen gesagt, dass sie sich so verhalten sollten.
    Von Mimi keine Spur.
    Ein Journalist hatte darum gebeten, mit den Frauen sprechen zu dürfen. Remo Frassino hatte ihn zurückgehalten. »Wenn die Verwandten herunterkommen, kann es losgehen.«

Der Geruch des Benzins.
    Zusammen mit dem Wind stieg er den Frauen in die Nase.
    Er durchtränkte die Treppen, die Mauern, jeden Winkel des Ternitti. Er breitete sich aus.
    Die beiden jungen Frauen, die bis jetzt die Rollen der mutigen Heldinnen auf dem schmalen Grat einer Schlacht gespielt hatten, sahen sich erschrocken an: »Riechst du das auch?«
    Das war er.
    Von Benzin triefend kam Ippazio über das Dach auf sie zu, der Himmel war inzwischen zu einer kompakten schwarzen Decke geworden, die drohend und schwer auf die Köpfe zu drücken schien. Mimi schlüpfte aus dem Zelt, in dem sie ausruhte, einen roten Schleier um den Kopf, der plötzliche Gestank hatte ihre Aufmerksamkeit erregt, ihr Gesicht trug einen neugierigen und entschlossenen Ausdruck. Dann reagierten ihre Synapsen schnell, formten das Mosaik dessen, was geschehen war und getan werden musste.
    »Lauft sofort nach unten, Mädchen.«
    Die beiden ließen sich das nicht zweimal sagen.
    Fette Krähen hatten sich auf die Stangen einer Antenne gesetzt, um die Begegnung zwischen Pati und Mimi zu überwachen.
    »Mimi, meine Liebste, wenn ich hier verbrenne, erhalten sie vielleicht euren Arbeitsplatz«, schrie er mit einer Stimme zwischen Weinen, Angst und einer Kraft aus ferner Vergangenheit, die ihr Echo sehr weit trug. Eine Vogelscheuche aus tropfnassen Kleidern, die Haare mit Benzin verklebt, das Gesicht von tiefen Falten durchzogen, so ging er auf das ewige junge Mädchen zu, die Pestkranke des Ortes, die sprach, wenn sie allein war, mit den toten Seelen und Vorfahren.
    Wie versteinert starrte sie ihre erste Liebe an, diesen von einem Dämon der Sühne, der Rache, vielleicht des Grolls besessenen Mann. Was steckte hinter dem unbedachten Verhalten des Vaters von Arianna, ihrer Tochter? Der Junge, der von weitem einem indischen Prinzen glich, der mit einer Schaufel über die schmalen Stege zwischen dem Blauasbest flog. So hatte sie ihn in all den Jahren der Abwesenheit immer vor Augen gehabt. Ein Seiltänzer, ein dunkelhäutiger Akrobat, ein leichtfüßiger Mann, der sich vielleicht wegen seiner allzu großen Leichtigkeit vom Leben der Domenica Orlando, der sperrigsten Frau des Salento, ferngehalten hatte.
    Da du nun also gekommen bist, um Mimi Orlando auf ihrem eigenen Gebiet herauszufordern, fürchte dich auch nicht vor den Folgen deiner extremen Handlungsweisen, sondern gehorche nur deinen innersten Überzeugungen, deinen Gefühlen. Leg Feuer an dich, Pati, wenn du den Mut hast, fang Feuer, komm hierher als menschliche Fackel. Mach ein Ende wie die echten Akrobaten, vor den Augen des Publikums und unter den Tränen deiner Liebsten. Los, Pati, mach Ernst, du hast dir doch Streichhölzer in der Tasche mitgebracht. Du hast kein Mitleid mit der Liebe zu Mimi gehabt. Streichhölzer, das Werkzeug eurer Verführung, eurer Wiederannäherung und eurer erneuten Entzweiung. Und nun?
    Aber bei einem großen Finale braucht es keinen guten Geschmack, was zählt, ist, dass man zur Tat entschlossen ist und eine winzige Botschaft hinterlässt, ein Symbol, das von Hand zu Hand, von Auge zu Auge gehen kann, die Spur der Vergangenheit.
    »Brenne. Dann
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