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Zementfasern - Roman

Zementfasern - Roman

Titel: Zementfasern - Roman
Autoren: Verlag Klaus Wagenbach <Berlin>
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abfallenden Gärten und Olivenhaine und einen in der Ferne aufragenden, von Schnepfenschwärmen umhüllten grünen Punkt, die gewaltige Wallonen-Eiche. Der Baum war ungeheuer groß und beeindruckend, er stand mitten in einem Eichenwald, Mimi war als Zwanzigjährige mit verschiedenen Liebhabern dort gewesen, von denen ihr keiner in Erinnerung geblieben war, sie hatte versucht, den Stamm der großen Eiche zu umarmen, und dann ihre Freunde aufgefordert, es mit ihr gemeinsam zu tun, dabei versuchte sie, deren Hände zu streifen. Es war ihr nie gelungen, die Arme ihrer Männer waren zu kurz. Ihr wurde bewusst, dass sie nur kleine Männer geliebt hatte, Männer, die unfähig waren, eine Eiche zu umarmen.
    Das Wellblechdach, auf dem Mimi stand, sah aus wie das Bühnenbild des bewegten Meeres für eine Schultheateraufführung. Seit drei Tagen aß sie Trockenobst, trank heiße Milch, Kaffee und schwarzen Tee aus Thermosflaschen, die mit einer Winde von unten hochgezogen wurden. Dort oben, gut zehn Meter über dem Erdboden, hatte Mimi einen Kampf begonnen. Auf dem Papier war es eine der vielen »aufsehenerregenden Protestaktionen«, die in Italien für einen heißen Herbst sorgten. Nur noch wenige Tage, dann war Allerheiligen und Allerseelen, Festtage, an denen alle Orte sich mit Menschenströmen und dem Rauch der Kamine füllten. »Ich bin bereit, bis Weihnachten hier oben zu bleiben«, sagte sie zu denen, die sich mit ihr auf dem Dach abwechselten, doch in ihrem Herzen dachte sie: »Ich würde auch für immer hier bleiben.« Ihre Kolleginnen wechselten einander ab, respektierten die Schichten, die festgelegt worden waren, als sie die Demonstration organisiert hatten. Die Direktion in der Zentrale plante, alle Betriebe in Italien zu schließen, um neue Fabriken in Indien und Rumänien aufzumachen. Wer weiterhin für die Good Tie arbeiten wollte, konnte das gerne tun, aber er würde die Koffer packen und nach Mumbai oder Temeswar umziehen müssen. Der neue Geschäftsführer war ein fünfundvierzigjähriger Mann mit dem Auftreten eines sympathischen Kumpels, der gelegentlich Joints raucht, alles andere als ein grausamer Kopfjäger im Nadelstreifen; er war zwar nie von Rom bis nach Tricase heruntergekommen, hatte sich aber in Interviews mit den Lokalzeitungen recht gesprächig gezeigt und Erklärungen abgegeben, die er aus Handbüchern des Zynismus für jene Emporkömmlinge gelernt hatte, die auch als Bosse Parvenüs bleiben: »Wir werden eine Lösung finden, die unsere Gesprächspartner nicht unbefriedigt lässt …«.

Remo Frassino war der Gewerkschaftsbeauftragte. Der Mann ohne Eigenschaften, eine warme, volltönende Stimme, Spitzbärtchen und Kahlkopf. Er war über die Eisenleiter hinaufgestiegen, um den Demonstrantinnen ein paar Genussmittel zu bringen und mit ihnen zu sprechen. »Die Frauen auf den Fabrikdächern« hießen sie in den Überschriften der Zeitungsartikel.
    Remo sah Mimi nicht an, er blickte Menschen selten ins Gesicht. Schwere Lider fielen ihm halb über die Augen.
    »Du auch?«, sagte er, ihrem Blick ausweichend.
    »Ich auch.«
    »Mimi, es sind genug Frauen da. Du bist jetzt seit drei Tagen hier oben.« Und er zeigte auf eine Gruppe junger Frauen.
    »Was wissen die Ärmsten schon, ich arbeite seit dreißig Jahren bei den Krawatten.«
    »Mach ihnen Platz.«
    »Ich bin für mich selbst hier oben, und ich bleibe die ganze Nacht, hier ist mein Leben, ich werde für immer hier oben bleiben, wenn sie diese Fabrik schließen. Ich bin in den Fabriken geboren und aufgewachsen, mich schmeißt du nicht raus.«
    »Mimi, es ist doch zwecklos, hier die Hauptrolle spielen zu wollen.«
    »Ich demonstriere, der Rest ist …«
    »Du bist verrückt, Mimi.«
    »Bring mir ein paar Dosen Gemüse und ein bisschen frisches Obst, viele Decken und Brennstoff für die Öfchen, das brauchen wir hier.«
    »Du brauchst es.«
    »Ich brauche es, ja, ich brauche es. Ich bezahle für meinen Gewerkschaftsausweis wie alle hier, dann werde ich doch wohl ein paar Rechte in meiner Gewerkschaft haben, oder muss ich auch dort ein Dach besetzen, um gehört zu werden?«
    »Ja, sprich ruhig im Singular, denn wenn du hier oben festwächst, wird keiner bei dir bleiben wollen …«
    »Keiner hat Mumm, das ist die Wahrheit, Remo, keiner zwingt die Frauen, ein paar Stunden zu bleiben, sie können tun, was sie wollen, ich will jedenfalls bleiben, und wenn ihr das nicht wollt, müsst ihr mich mit Gewalt wegtragen.«
    Ihre Stimme war lauter geworden, wer
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