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Feuer um Mitternacht

Feuer um Mitternacht

Titel: Feuer um Mitternacht
Autoren: Boy Lornsen
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Markus Unschlitt:
die Nacht von Montag auf Dienstag

    Ich öffnete den Fensterflügel.
    Er knarrte nie, weil ich von Zeit zu Zeit etwas öl an die eisernen Beschläge tropfte. Der Wind drängte sich gierig durch das offene Rechteck und ließ die Gardine wie eine Flagge auswehen.
    Viel fehlt nicht an Windstärke sechs, dachte ich und legte den Sperrhaken in die Öse. Wenn mir das Fenster aus der Hand gezerrt wurde und gegen die Mauerkante prallte, gab es Scherben. Und klirrendes Glas war das letzte, was ich brauchen konnte.
    Meine Segelschuhe schurrten leise, als ich auf den Kiesweg sprang. Darum trug ich sie, wenn ich unterwegs war — nachts, meine ich.
    Ich mochte, wenn der Wind auf den Telefondrähten pfiff. Es machte mir nichts aus, wenn die Nacht alle Dinge über der Erde in ihren schwarzen Rachen einsog, um sie verwandelt wieder auszuspucken. Unsere Häuser und Steinwälle zerkaute sie zu einem dunklen Brei. Bäume sahen aus wie armschwingende Riesen. Büsche wie krummrückige Gespenster oder Hexenweiber, die kichernd die Köpfe zusammensteckten. Aber nur für solche, die Angst hatten. Und ich hatte keine Angst.
    Den erleuchteten Fenstern konnte die Nacht nichts anhaben. Sie schlang nur deren Lichtschein in sich hinein, wie der trockene Schwamm das Wasser.
    Im Zimmer nebenan brannte kein Licht.
    Das hätte ich auch mit geschlossenen Augen gewußt. Im Schlafzimmer meiner Mutter brannte nie mehr Licht um diese Zeit. Seit einem halben Jahr: Seitdem ich keinen Vater mehr hatte und sie keinen Mann! Als Vater noch lebte, ging sie nicht so zeitig ins Bett. Oft hörte ich ihre gellende Stimme bis in mein Zimmer hinein, wenn die beiden stritten, über Geld. Aber Vater machte sie mundtot mit seinem mächtigen Gelächter.
    Vor einem halben Jahr kletterte ich noch nicht nachts aus dem Fenster. Damals erlebte ich mit meinem Vater genug Abenteuer am Tage.
    Ich hatte es schon lange herausgefunden: Mutter nahm jeden Abend Schlaftabletten, damit sie schnell und ohne viel Tränen einschlief. Sie hatte Vater geliebt. Nur — warum stritt sie immer mit ihm, als er lebte? Mutter versuchte die Tabletten vor mir zu verheimlichen, schloß ihr Schlafzimmer ab. Sie hätte die leeren Röhrchen besser verstecken müssen. Ich fand sie in unserem Abfalleimer. Und dann wußte ich Bescheid.
    Mutter schlief fest — darum brauchte ich mir keine Sorgen zu machen. Ich konnte nachts aus meinem Stubenfenster klettern, so oft ich Lust dazu verspürte, wie ein unruhiger Kater. Wie ein Kater schlich ich auch auf leisen Sohlen durch das Dorf, und ich verriet mich nicht durch heiseres Miauen, wenn ich auf Tour ging. Im Schleichen und Unsichtbarmachen waren wir beide Meister. Und wir kannten alle Wege und Gärten, alle Hecken und Wälle, alle Schuppen und Winkel in Tarrafal. Wir begegneten uns oft, die Tarrafaler Katzen und ich.
    Ich drückte den Fensterflügel vorsichtig zu und sicherte ihn vor dem Aufschlagen mit einem Holzpflock, den ich in eine eiserne Krampe am unteren Holzrahmen drückte. So konnte der Wind ihn nicht fassen, und ich kam jederzeit wieder ins Haus.
    Warme Unterwäsche hatte ich angezogen, den Wollpullover und meinen alten Fischer-Anorak. An dem konnte ich nichts mehr verderben. Dunkelblaue Hose, dunkelgrüner Pullover, Anorak und Mütze schwarz — Farben, die bei Nacht unsichtbar machen. Ich versuchte, alles zu bedenken. Ich bewegte mich übervorsichtig wie ein kranker Hase.
    Das war notwendig. Die Leute in Tarrafal schauten mir mißtrauisch nach, wenn sie mich tagsüber trafen. Die Leute redeten über mich: Diesem Markus Unschlitt ist alles zuzutrauen...
    Sollten sie reden! Sie wußten nichts. Erwischt hatte mich noch keiner — auch Polizist Tackert nicht. Wenn ich unterwegs war, schliefen sie.
    Manche taten scheinheilig freundlich. „Markus, wie geht’s deiner Mutter? Grüß sie von uns!“ Dabei glitzerte die Neugierde in ihren Augen. Sie wußten genau, daß meiner Mutter Grüße gleichgültig waren, daß sie nicht mehr viel redete seit Vaters Tod. „Sie wird schon wieder anders werden, aber das braucht Zeit“, sagte Tante Lene Steenkamp mal zu mir. Manche drehten mir den Rücken zu, wenn ich vorbeikam, und dann flüsterten sie über mich. „... früher war er doch ein netter Junge. Was ist in ihn gefahren? Warum schafft er Unruhe im Dorf... Diese roten Hähne in Sönderups Hausdach...“ Ein paar legten ihre Stirnen in betrübte Dackelfalten. „Er hat seinen Vater verloren... Das sollte man bedenken .. Wenn sie sich doch
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