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Zementfasern - Roman

Zementfasern - Roman

Titel: Zementfasern - Roman
Autoren: Verlag Klaus Wagenbach <Berlin>
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Guardiola. Doch zu seiner Überraschung stellte er fest, dass er nicht aufgeregt war. Ein dunkler Bereich in seinem Inneren erstickte jede Rührung. Er fuhr um das Haus herum, ahnte, dass die beiden ihn bemerkt hatten, und das genügte, damit er ein unauffälliges Wendemanöver machte, sich wieder in die Schnellstraße Richtung Tricase einfädelte und mit einem Blick kontrollierte, ob die Sachen noch da waren.
    »Natürlich hätte ich auch Biagio bei mir aufgenommen«, dachte er, während er auf der schnurgeraden Strecke zwischen Olivenwäldern den vierten Gang einlegte. Das Städtchen Tricase kam näher, am Horizont tauchten immer mehr Häuser auf, der Hügel breitete sich aus, umfing die Landschaft. Er fuhr durch den Ort, es gab wenig Verkehr, das Viertel Puzzu, die Altstadt, Piazza Pisanelli, über der drohend die gleichnamige dunkle Statue aufragte. An einem so grauen Vormittag wirkte sie wie die Karikatur eines über die Stadt wachenden prähistorischen Vogels. Aber dies war der Vater der Stadt, der Verfassungsrechtler, der Parlamentsabgeordnete, der liberale Minister, der wichtigste Mann in der Geschichte der roten Steine, aus denen die Altstadt bestand. Ippazios Auto schaukelte auf der Straße aus unebenen Pflastersteinen, die zur Küste hinunterführte. Er bog in das letzte Stück Weg ein, das ihn von seinem Ziel trennte, überprüfte noch einmal, ob die Sachen unter der Decke an ihrem Platz waren. Dann parkte er an einer Stelle, wo er sicher sein konnte, dass man ihn nicht bemerkte, im Hintergrund sah er eine Menschenmenge in warmen Mänteln, viele Autos. Er drehte sich um, öffnete den Behälter, der Gestank erfüllte das Wageninnere. Hastig schloss er den Deckel. Er hatte sehr wenig Zeit, um nachzudenken, um die Sache tatsächlich zu Ende zu bringen. Als er aus dem Auto stieg, trat er auf einen Teppich aus Eicheln, es waren die Früchte der Wallonen-Eichen, die die Einwohner von Tricase schon seit Jahrhunderten sammelten, um sie in aller Welt zu verkaufen. Diese Eicheln waren so lang wie Zigaretten und so breit wie Pinienzapfen und von einer dicken Rinde umgeben, aus der man das Tannin für das Gerben von Häuten gewann. Daraus wurden Schuhe, Lederwaren und Hüte gemacht. Wenn Tricase voller Fabriken war, dann waren daran auch die Eicheln schuld, über die Pati jetzt rutschte, mit seinen Sachen auf dem Rücken. Auch dass Mimi dort oben war, war die Schuld der Eicheln.
    Wirre Gedanken gingen Pati durch den Kopf, er stellte unlogische Verbindungen her zwischen den Ereignissen seines Lebens und Mimis Leben, wieder einmal gab er einem äußeren Plan die Schuld, einem widrigen Schicksal, sogar den Eicheln.
    Aber es war zu spät, um noch mehr Anklagen zu erheben. Wenn er aus der fernen Schweiz in den Salento zurückgekehrt war, dann auch um dessentwillen, was er jetzt tun würde.
    Es war eine bunte Menge, die unten am Fabrikgebäude herumlungerte, um die Frauen auf dem Dach zu unterstützen. Journalisten der Lokalpresse waren da, ein paar Wirrköpfe, die üblichen Nichtsnutze und die Verwandten der demonstrierenden Frauen. Später würde auch Arianna mit Biagio ankommen, vielleicht. Doch am besten war schon vor ihrer Ankunft alles vorbei. Wenn der Vorhang vor dem Schauspiel fiel, bevor Zeit für Sinnesänderungen war, und noch bevor es sich in einen Erinnerungsfetzen verwandeln konnte. Er musste schnell sein. Niemandem gestatten, ihn von seinem Plan abzubringen.
    Die Menge teilte sich und ließ sich von dem Mann, der den Behälter trug, durchqueren, drängte ihn bis zur Schwelle des Notausgangs, wo eine eiserne Leiter aufragte, die direkt aufs Dach führte, um vor einem wie zubetoniert wirkenden Durchlass zu enden.
    Im Geflüster der Leute gab es Fragen: »Ist das nicht Pati? Ist er etwa wieder mit Mimi Orlando zusammen?« Der kleine Blechbehälter, den Pati auf dem Rücken trug, war für Milch bestimmt, doch auch Lebensmittel und zubereitete Speisen wurden damit transportiert, manchmal sogar Kleidungsstücke.
    Nach der ersten Leitersprosse packte ihn eine Art Schwindel. Er war krank, aber er musste es zu Ende führen, als er sich auf die zweite Sprosse wagte, spürte er, dass die Leiter schwankte, sie gab die metallischen Laute der Sistren von sich, die durch das ganze Gebäude hallten. Frassino kam ihm entgegen, fragte, wer er sei, niemand dürfe hinaufsteigen.
    »Ich habe Mimi etwas zu essen gebracht.«
    »Mimi hat alles.«
    »Ich bin der Vater von Arianna, ihrer Tochter, ich lasse Mimi ein paar Sachen da,
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