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Zeitsplitter - Die Jägerin: Roman (German Edition)

Zeitsplitter - Die Jägerin: Roman (German Edition)

Titel: Zeitsplitter - Die Jägerin: Roman (German Edition)
Autoren: Cristin Terrill
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Wutanfälle, das Feuer in seinen Augen, wenn er sagte, er werde die Welt verändern, die Vermutung, dass der geringste Druck ihn zerbrechen könnte. Ich sah ein unbekanntes Bild von dem Jungen, den ich so gut zu kennen glaubte. Ein zerbrechlicheres und kaputteres, als ich zuvor gesehen hatte. Nate denkt, dass er über den Tod ihrer Eltern nie hinweggekommen ist. Deshalb war er seit dem Zusammenbruch am Tag ihrer Beerdigung in Therapie. Ich wusste das nicht, er hat es mir nie erzählt.
    Auf der Beerdigung stehe ich zwischen Nate und Finn Abbott. Ich habe die letzten beiden Tage schluchzend und schreiend im Bett verbracht, für heute habe ich keine Tränen mehr übrig. Ich bin leer, als wäre ich zusammen mit James gestorben. Ich lehne mich an Finn, weil ich nicht sicher bin, ob ich allein stehen kann, und kneife wütend die Augen zusammen, weil die Sonne es wagt, heute zu scheinen. Es sollte wie im Film sein: düstere Wolken, Nieselregen und ein Meer aus schwarzen Regenschirmen. Aber die Trauergemeinde am Grab ist ohnehin zu klein für eine Filmszene; es sind nur die Menschen, die James wirklich gekannt und geliebt haben. Den Zirkus haben wir in der Kirche hinter uns gelassen.
    Während der Pfarrer spricht, driften meine Gedanken ab, weg von dem Sarg und den Blumen und dem Loch in der Erde. Ich denke an die Stapel von Notizbüchern aus James’ Zimmer, die Nate mir geschenkt hat, weil er es nicht ertragen kann mitanzusehen, wie die Arbeit, die James so geliebt hat, in irgendeinen Karton gepackt wird. Heiße Tränen – ich schätze, ich habe wohl doch noch welche übrig – brennen sich durch die Taubheit, die mich umgibt, als mir einfällt, wie James mir zum ersten Mal von seiner Arbeit erzählt hat. Die Erinnerung steht mir so frisch und unmittelbar vor Augen, als würde ich es erneut durchleben.
    »Marina!« Meine Augen werden immer glasiger, während ich höflich dem Geschnatter der Freundinnen meiner Mutter zu lauschen versuche. Da höre ich jemanden meinen Namen zischen. »Marina! Hey!«
    Eine Hand schließt sich um mein Handgelenk, und als ich mich umdrehe, steht James hinter mir – schlaksig und ungelenk und noch nicht in seine Größe hineingewachsen. Er zieht mich weg, und wir schlüpfen durch die Schar der Gäste, die alle ein Weinglas und einen kleinen Teller mit Hors d’Oeuvres in der Hand halten. »Ich hab schon überall nach dir gesucht.«
    »Sorry, Mom wollte, dass ich mit den Frauen rede, die mit ihr im Vorstand des Symphonieorchesters sitzen. Ich glaube, sie wollte mich nur vorzeigen.« Ich sehe an meinem Partykleid herunter. Mom hat mich zu Neiman’s geschleppt, um es zu kaufen, und mich gezwungen, es zur alljährlichen Weihnachtsparty bei den Shaws anzuziehen. Es ist silbern und das Oberteil ist perlenbestickt. Objektiv betrachtet ist es wahrscheinlich sehr schön, aber ich fühle mich darin wie Moms Debütanten-Barbie.
    »Sieh mal, was ich aus der Küche hab mitgehen lassen, als die Caterer nicht hingeschaut haben«, sagt James und schwenkt eine halb volle Champagnerflasche. »Lass uns hier verschwinden.«
    Er zieht mich die Treppe zum dunklen ersten Stock hinauf, und ich merke, dass ich ihm nicht widerstehen kann. Er führt mich in die Bibliothek, schließt die Tür hinter uns und verkeilt einen Türstopper darunter, damit niemand anders hereinkommen kann. Er schmeißt sich auf das Ledersofa, ich lasse mich etwas gesitteter neben ihm nieder. Ich lehne den Kopf an die Kissen und beobachte ihn, wie er sich die Augen mit beiden Händen reibt.
    »Ich verstehe nicht, warum Nate unbedingt jedes Jahr diese dämliche Party schmeißen will«, sagt er. »Ich weiß genau, dass er sie genauso hasst wie ich.«
    »Es ist irgendwie eine nette Tradition, oder?«, sage ich, obwohl ich mir sicher bin, dass ich die Weihnachtsparty der Shaws noch mehr hasse als irgendjemand sonst. »Euer Dad würde sich darüber freuen, dass er sie weiter pflegt.«
    »Ja, schätze schon.« James nimmt einen Schluck aus der Flasche und versucht dann zu verbergen, dass er wegen des Geschmacks eine Grimasse zieht. »Es wäre nicht richtig Weihnachten, wenn man sich nicht vor dieser Party fürchten müsste, oder?«
    Ich lächle. »Oder blöde Kleider anziehen müsste.«
    »Ich weiß, dass du es nicht magst, aber du siehst hübsch darin aus.«
    Meine Zunge fühlt sich plötzlich zu groß für meinen Mund an. Das Licht im Raum scheint sich zu verändern, James sieht plötzlich anders aus. Vollkommener. Mein Atem wird flacher, und ich
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