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Zeitschaft

Zeitschaft

Titel: Zeitschaft
Autoren: Gregory Benford
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und andere Alabasterherrlichkeiten besang. »Das Land beginnt eigentlich in Washington«, hatte seine Mutter gesagt und nicht vergessen, das pädagogische »D.C.« hinzuzufügen, so daß ihr Sohn nie Hauptstadt und Bundesstaat durcheinander bringen würde. Und Gordon, durch den Katalog historischer Weihestätten geschleppt, sah, was sie meinte. Hinter der französisch beeinflußten Architektur des City Center lagen ein ländlicher Park – Land, das Jeffersons Geist atmete – und baumgesäumte Boulevards. Seitdem war Washington für ihn der Eingang zu einer weiten Republik, in der die Felder unter einer WASP-Sonne heranreiften. Dort steuerten blauäugige Blondinen gelbe Sportwagen, die auf freier Straße Staubfahnen hinter sich aufwirbelten, während sie von einem Landjahrmarkt zum nächsten fuhren; Frauen gewannen Preise für ihr Erdbeereingemachtes, und Männer tranken wäßriges Bier und küßten Mädchen, die aus der gleichen Schablone wie Doris Day gemacht schienen. Er starrte zur Spirit of St. Louis hoch, die wie eine paralysierte Motte im Smithsonian hing, und fragte sich, wie eine Maisschälerstadt – »Ohne ein einziges gutes College«, meinte seine Mutter naserümpfend – sich flügelschlagend in die Luft erheben konnte.
    Gordon steckte die Hände tief in die Taschen und ging weiter. Seine Mundwinkel verzogen sich vergnügt. Über Washington hinaus hatte er viel über das riesige Land gelernt, das meiste von Penny. Ihre Wunden, die sie sich gegenseitig versetzt hatten, waren im Ausklang des Jahres 1963 verheilt; erneut hatten sie die dauerhafte Chemie gefunden, die sie am Anfang in ihre verbundenen Umlaufbahnen gezogen hatte; Kreise, deren gemeinsamer Mittelpunkt genau zwischen ihnen lag. Aber zwischen ihnen war kein geometrischer Punkt, sondern eher eine kleine Sonne, die eine Leidenschaft entzündete, welche nach Gordons Gefühl tiefer als alles war, was er je erlebt hatte. Ende 1964 heirateten sie. Ihr Vater, Jack, veranstaltete eine prunkvolle champagnertrunkene Hochzeitsfeier. Penny trug das traditionelle Weiß. Wenn sie jemand darauf ansprach, blickte sie stets zu Boden. Im Winter hatte sie ihn nach Washington begleitet, als er zum erstenmal bei der NSF um einen eigenen großen Zuschuß focht. Seine Gespräche gingen gut voran, und Penny verliebte sich in die Nationalgalerie; jeden Tag sah sie sich die Vermeers an. Zusammen mit Kapazitäten der NSF aßen sie Schellfisch und schlenderten vom Kongreßgebäude zum Lincoln Monument. Damals machte ihnen die herbkühle Frische nichts aus, sie paßte einfach zur Umgebung. Alles schien damals zu allem zu passen.
    Gordon schaute noch einmal die Adresse nach und stellte fest, daß er noch einen Block weiter mußte. Die Kontraste Washingtons hatten ihn schon immer gefangengenommen. Diese belebte Straße strahlte von selbst Bedeutung aus, doch unterteilt wurde sie durch schmale Straßen mit kleinen Geschäften, verfallenen Häusern und Krämerläden an der Ecke. Schwarze Greise lehnten in Türeingängen, ihre großen braunen Augen musterten das steuersubventionierte Getriebe. Gordon winkte einem von ihnen zu und entdeckte, als er um die Ecke ging, einen monumentalen Hof im schmucklosen französischen Stil, den die Regierung in den Fünfzigern bevorzugt hatte. Konisch geschnittene immergrüne Pflanzen standen wie Wachtposten in den kantigen Ecken. Büsche, in Reih’ und Glied gepflanzt, lenkten das Auge unwillkürlich zu erbarmungslosen Perspektiven.
    Mochte es auch eine klotzige, arrogante Architektur sein, dachte er, aber das war etwas. Granitfassaden wiesen in einen bleichen Himmel. Er nahm die Hände aus den Taschen und strich sich das Haar aus den Augen. Auf dem Schädel wurde es schon dünner, wußte er, ein sicheres Zeichen dafür, daß die Kahlköpfigkeit seines Vaters in ihm ihr Ebenbild finden würde.
    Drei Glastüren hintereinander mußte er aufstoßen. Die Zwischenräume schienen als Luftschleusen zu dienen und die trockene Wärme im Innern zu ermöglichen. Die Tische waren mit luxuriösen Stoffen gedeckt. Im Mittelpunkt des Foyers mit den tiefen Teppichen Gruppen von Männern in Anzügen. Gordon durchschritt die letzte Luftschleuse und trat in ein summendes Stimmengewirr. Dichte Vorhänge schluckten die Geräusche und vermittelten die würdige Atmosphäre von Leichenhallen. Links mehrere Empfangsdamen. Eine löste sich aus der Gruppe und kam auf ihn zu. Sie trug ein langes, cremefarbenes Seidenkleid, das Gordon für ein Abendkleid gehalten hätte,
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