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Zeit und Welt genug

Titel: Zeit und Welt genug
Autoren: James Kahn
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zusammen.
    Josh sprang hinzu.
    »Du bist verletzt. Du blutest wieder.« Die Wunde hatte sich wieder geöffnet, Blut rann heraus.
    »Nein, es geht. Aber wir müssen uns beeilen.« Lon machte sich sofort auf den Weg, gefolgt von Josh, auf dessen Schulter Isis saß.
    Sie gingen stumm dahin. Lon kannte den Weg inzwischen gut und sah nachts so viel, dass sie mühelos vorankamen.
    Als sie an einem Quertunnel stehen blieben, um sich zu orientieren, hörten sie zum ersten Mal das Grollen.
    »Was ist das?« fragte Josh.
    Lon und Isis stellten ihre Ohren auf.
    »Ich weiß es nicht«, sagte Lon, »aber es scheint näher zu kommen.«
    In der Tat begannen die Wände zu beben, die Luft vibrierte, dann rauschte tiefer, grollender Donner heran. Schlagartig kam die Flut.
    Im nächsten Augenblick war der ganze Tunnel vom Boden bis zur Decke von einer peitschenden Flut erfüllt. Die drei Freunde wurden gewaltsam auseinander gerissen und wie Treibholz davongespült. Josh sah Lon die unterste Sprosse einer Schachtleiter packen und sich aus der Flut hochziehen. Isis, die im Wasser nie zu Hause war, wurde davongewirbelt, durch den größten der Tunnels fortgeschwemmt und verschwand.
    Josh geriet eine Zeitlang unter Wasser – in den Tunnels selbst gab es keine Möglichkeit, aufzutauchen. Er hielt den Atem an, so gut er konnte, wurde aber so stark herumgeschleudert, dass er Wasser schluckte. Mehrmals prallte er an die Felswände oder an einen Eckenvorsprung, zweimal verlor er fast das Bewusstsein.
    Als seine Kraft völlig nachzulassen schien, verhängte sich sein Fuß an einer Stange. Er zog sich heran und fand eine Sprosse. Mit letzter Energie stemmte er sich hinauf, fand die nächste Sprosse, mühte sich hoch. Noch eine Sprosse, und er war aus dem Wasser, hustend, spuckend und verirrt. Er hing lange Zeit an der Schachtleiter, während das Wasser unter ihm vorbeitobte – ruhte sich aus, erholte sich, erbrach sich.
    Er fragte sich kurz, weshalb die Tunnels plötzlich überschwemmt worden waren, hielt sich aber nicht lange damit auf. Das Glück hatte sie im Stich gelassen. Nun ging es nur noch um das Überleben. Er wünschte im stillen seinen Freunden Glück, stieg die Leiter hinauf und oben heraus.
     
    In der Außenstadt herrschte tiefe Nacht. Eine verirrte Brise fand den Weg über die Mauer und kühlte Joshuas Gesicht, als er über die Straße lief und sich im Schatten eines abgestellten Wagens verbarg. Die Straßenbeleuchtung erschwerte seine Versuche, sich zu verstecken. Außerdem waren fröhliche Scharen von Vampiren und Neuromenschen unterwegs, auf der Suche nach nächtlichen Vergnügungen. Als Mensch in triefend nasser Menschenkleidung würde Joshua in hohem Maße auffallen.
    Er wartete, bis es ein wenig ruhiger wurde, dann schlich er verstohlen in Richtung Außenmauer weiter. Durch Gassen, an Hauswänden entlang, unter Dammstraßen hindurch. Der Mond war hinter schwarzen Herbstwolken nur ein schwacher Schein, aber die Straßenlaternen verfolgten seine Flucht und hetzten seinen eigenen Schatten hinter ihm her. Er hatte eine Straße halb überquert, als ein Schrei hallte.
    »Halt! Du da!« schrie jemand aus einem Hauseingang.
    »Schaut! Dort! Ein Mensch!« brüllte eine zweite Stimme.
    Und eine dritte: »Packt ihn!«
    Unmittelbar danach liefen viele Schritte über das Pflaster, aber Josh hielt sich nicht auf, um zu sehen, zu welcher Stimme welche Füße gehörten. Er sprang in einen Schatten und rannte davon.
     
    »Hilfsaggregat Kontrolle abgeschlossen«, sagte Neuromensch Eins.
    »Hilfsaggregat Funktion normal«, sagte Neuromensch Zwei und schaltete ab. Diese Überprüfung fand routinemäßig jede Nacht um 04.00 Uhr statt, damit man rechtzeitig Defekte im Ersatzstromnetz feststellen konnte – eine zweite Energiequelle, die für kurze Zeit den Fluss durch die Abwässerkanäle schickte, um andere Turbinen in einem anderen Stadtteil anzutreiben. Wie immer schalteten auch in dieser Nacht die Motoren sich ordnungsgemäß ein und wieder ab.
    »Auf Normalnetz umgeschaltet«, sagte Neuromensch Eins.
    »Normalnetz läuft«, sagte der zweite Neuromensch und überprüfte alle Schalterstellungen.
    Jasmine stand regungslos hinter einem Relaiskasten, unbemerkt von den beiden Technikern, und wartete auf den geeigneten Augenblick. Sie hatte sich stundenlang im Schacht versteckt und war dann ungesehen zu diesem Kasten geschlüpft, um abzuwarten.
    Die Gelegenheit kam.
    Neuromensch Eins zündete sich eine Zigarette an, Neuromensch Zwei sagte
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