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Zeit Des Zorns

Zeit Des Zorns

Titel: Zeit Des Zorns
Autoren: Jutta Ditfurth
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schon in den gleichen Bus gestiegen wie alle anderen und im ewig selben Trott mitgefahren. Sie haben nicht die Gesellschaft verändert, sondern sich ihr angepasst.
    Eine interventionsfähige, emanzipatorische politische Bewegung ist kein eingetragener Verein von Sozialarbeitern. In der Geschichte der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften hat der Spruch vom »Abholen« immer die Ausrede geliefert, sich opportunistisch dem Mainstream zu unterwerfen. War der Arbeiter rassistisch, hatte man Verständnis. War die Arbeiterin national gesinnt, galt das nicht als Streitfall, sondern als konstruktiver Anknüpfungspunkt.
    Unter heutigen Bedingungen könnte das auch heißen, sich in end- und sinnlosen Gesprächen mit Bild -Zeitungs-Lesern, BWL-Studenten und neoliberalen Journalisten zu verzetteln. Auf »die Menschen« zuzugehen ist richtig, sofern es bedeutet, Erkenntnisse zu vermitteln, an ihre soziale Lage anzuknüpfen, ungewohnte und radikale Gedanken populär zu vermitteln und sich in emanzipatorischer Absicht auseinanderzusetzen. Mit Menschen anderer Herkunft zu reden und zu streiten, das müssen einige Linke noch lernen.
    Für die kommenden Kämpfe nützt uns keine qualitätslose Masse, die mal einen Tag auf dem Marktplatz Reden lauscht, mit Fähnchen winkt, Glühwein trinkt und sich zählen lässt. Aber nichts ist gegen eine politisierte Masse von Menschen einzuwenden, die sich lernend wehrt und vielerlei Aktionen kennt.
    Es geht um die politische Qualität der kommenden sozialen Auseinandersetzung. Wir sollten nicht unterschlagen, dass wir das Ziel haben, den Kapitalismus abzuschaffen. Das muss Konsens sein. Die Bewegung, die dort hinführt, ist kein Selbstzweck und keine Party (Feten gibt es zusätzlich). Diese Auseinandersetzung ist ein Prozess, dessen Verlauf wir noch nicht kennen. Manche Rahmenbedingungen ändern sich gerade. Unsere Schritte in diesem Prozess müssen wir miteinander aushandeln. Einige Bedingungen sind fest.
    Wir haben das Recht, uns gegen die Demütigung, Ausbeutung und Vernichtung von Menschen und gegen die Zerstörung der Natur zu wehren. Das ist unverhandelbar. Für Rassismus, Antisemitismus, Sexismus und Nationalismus ist kein Platz. Gewalt ist, wo immer möglich, zu vermeiden. Aus prinzipiellen Gründen, denn die Methoden der politischen Auseinandersetzung solltenvon unseren Grundwerten getragen sein. In einer durch und durch gewalttätigen Gesellschaft aber wird »Gewaltlosigkeit« nicht immer möglich sein, und sie kann auch kontraproduktiv werden, sofern wir keine Opfer oder Märtyrer werden wollen. Allerdings ist unsere Definition von Gewalt eine andere als die derjenigen, die sich heute das Gewaltmonopol anmaßen und ihre Interessen weltweit überhaupt nur mit Gewalt durchsetzen – mit struktureller Gewalt, mit sozialer Gewalt, mit ökonomischer, polizeilicher und militärischer Gewalt.
    Auf einem Plakat an der Wand meines Zimmers, als ich in Glasgow lebte, stand: »Streik ist Gewalt. Ohne Streik kein Acht-Stunden-Tag.« Zwei Sätze von schöner Klarheit. Alle sozialen Rechte, die wir heute verteidigen müssen, sind Resultate von oft blutigen Auseinandersetzungen. Auf das pharisäerhafte Gerede von der furchtbaren Gewalt, die zum Beispiel in Betriebsbesetzungen oder Blockaden gegen Militärmanöver liege, kann man den guten Bürgern, die nicht mal wissen, woher ihre Privilegien kommen, gut mit Dietmar Dath antworten: »Die bürgerliche Demokratie hat auch ein paar Anläufe gebraucht. Zunächst mal ist sie in Frankreich im Blut ersoffen, alle haben sich gegenseitig geköpft.« 384
    Wenn man sich überlegt, wie viel Schweiß und Blut, wie viel Verachtung, Prügel und Gefängnisfolter Frauen Anfang des 20. Jahrhunderts auf sich nahmen, nicht, um sich soziale Gleichheit, sondern nur, um sich das Wahlrecht zu erkämpfen! Wie groß die Anstrengung, wie klein der Erfolg, misst man ihn am Grundanliegen der Gleichheit. »Humanismus auf Erden, jener schwere Versuch einer Vereinigung von Vernunft und lebendigem Herzschlag, Vereinigung von Freiheit und [sozialer] Gleichheit, fällt uns nicht in den Schoß. Widerstand und Ungehorsam im Kampf um eine humane Welt fordert Schweiß, Tränen und Blut«, sagte Fritz Bauer kurz vor seinem Tod. 385 Natürlich war der Kampf der Suffragetten richtig und bewundernswert. Noch über hundert Jahre später aber haben Frauen nicht einmal gleichen Lohn für gleiche Arbeit, leiden Männer wie Frauen unter alten und neuen Ungleichheiten und moderneren Formen der
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