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Zeit Des Zorns

Zeit Des Zorns

Titel: Zeit Des Zorns
Autoren: Jutta Ditfurth
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Es gilt der alte Dreiklang: Theorie, Aktion, Organisation. Nach geschlagenen Schlachten – wie nach der APO, nach den Massenstreiks, nach der Anti-AKW-Bewegung,nach der Frauenbewegung, nach der Friedensbewegung, nach der Hausbesetzerbewegung, nach den letzten wirklichen gewerkschaftlichen Kämpfen, nach dem Aufblühen der antifaschistischen Bewegung – kommt meist ein Wellental, eine große Erschöpfung. Soziale Kämpfe haben nun einmal solche Verlaufsformen. Manche Menschen steigen dann aus und bilden sich ein, alles sei vorbei. Dabei ist es die Zeit zum Atemholen, zur Analyse, zum Lernen, zur Vorbereitung des nächsten Angriffs. Oder wie der Schriftsteller Dietmar Dath sagt:
    »Aber der Zerfall von Bewegungen tritt immer dann ein, wenn ein Anlauf genommen wurde und dieser an den herrschenden Verhältnissen abprallt. Die Lähmung ist das Resultat der jüngsten Niederlagen. Man kann dasselbe bei Marx sehen: Wann fängt er an, Das Kapital zu schreiben? Im Kommunistischen Manifest ist die Überzeugung, dass Europa alsbald umgestaltet werde, noch mit Händen zu greifen. Doch dann passiert das eben nicht. Also hat er sich noch einmal in die Bibliothek gesetzt und aufs Neue versucht, alles zu verstehen. Mal wird angegriffen, mal ausgewertet. So geht Denken.« 383
    Es gibt kein Ende der Geschichte. Die gewalttätigen kapitalistischen Verhältnisse, der Widerspruch von Kapital und Arbeit, werden Widerstand produzieren, solange es Menschen gibt. Die wirklich interessante Frage ist: Von welcher Qualität ist dieser Widerstand? Wie viel wissen die Widerstehenden von der Geschichte sozialer Kämpfe und von dem zerstörerischen Potenzial des Kapitalismus? Haben sie das Wellental der Bewegung, die Ruhe vor dem nächsten Sturm, die Zeit ohne täglichen Aktionismus genutzt, um klüger zu werden? Um die Entwicklung der Gesellschaft genau zu beobachten? Neues zu entwerfen? Sich im besten Sinne rücksichtslos und erkenntnisfördernd miteinander zu streiten?
    Wer glaubte, nach der letzten Revolte käme nichts mehr, wer die eigene Biographie mit der Zeitgeschichte verwechselt hat und ausgestiegen ist und heute die Welt nicht mehr ganz versteht, der hat eben ein kleines Problem und muss nacharbeiten. Ungleich ist unser Erkenntnisstand ohnehin. Denn da es kein klassisches »revolutionäres Subjekt« in Gestalt einer von gleichen Arbeits- und Lebensbedingungen geformten Arbeiterklasse mehr gibt, sondernviele verschiedene potenziell revolutionäre Subjekte in national wie weltweit höchst unterschiedlichen Lebenslagen und -phasen, haben wir alle ungleiche Ausgangsvoraussetzungen. Darin liegen auch Chancen: Weiter ausholende soziale Erfahrungen kommen zusammen und ein hoffentlich offenerer Blick auf die Welt. Aber es gibt auch ein paar Komplikationen, was die Frage der Organisierung angeht.
    Theorie, Aktion, Organisation : Zunächst also die Anstrengung der Kopfarbeit. Die Selbstdisziplin und Geduld, den eigenen Verstand zu strukturieren. Theoretisch arbeiten, lesen, denken. Wer das aber auf Dauer tut, ohne die Füße in politischer Praxis zu haben, läuft Gefahr, Hofnarr oder Elfenbeinturmbewohner zu werden. Er oder sie wird in beiden Fällen ungefährlich und von Angehörigen der besitzenden Klasse vereinnahmbar. Und ist es nicht eine sehr anregende Vorstellung, dass der Mensch ein so vielseitig begabtes, auch sinnliches Wesen ist, dass er besser denkt und lernt, wenn er auch praktisch kämpft (und umgekehrt)?
    Dann gibt es diejenigen, die politische Praxis und Aktionen lieben, die das Machen gut können, mit einigem technischen und sportlichen Geschick, ohne allzu viel Angst und vielleicht sogar mit taktischer Phantasie. Ihr Problem kann sein, dass sich, ganz ohne Theorie, ohne Kenntnis der Geschichte, ohne Kopfarbeit eben, die eingesetzte Kraft nach einiger Zeit verflüchtigt und ziellos wird. Ihr Besitzer mag zwar festen Boden unter sich spüren, er kennt den historischen Grund aber nicht, auf dem er steht. Ganz abgesehen von der ärgerlichen Möglichkeit, bei theorieblindem oder sektiererischem Aktionismus allzu leicht kriminalisiert zu werden. Oder bei falscher politischer Praxis an Bürokratie zu ersticken.
    Also Theorie und Praxis. Aber mit wem und in welchem organisatorischen Rahmen? Klar ist: An Bündnisse sind verbindliche inhaltliche Anforderungen zu stellen. Darunter geht gar nichts. Es gibt das alte reformistische Argument, dass man »auf die Menschen zugehen muss«, sie abholen muss an jeder Bushaltestelle. Allzu viele sind
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