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Zeit Des Zorns

Zeit Des Zorns

Titel: Zeit Des Zorns
Autoren: Jutta Ditfurth
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Sklaverei.
    * * *
    Die Justiz unterscheidet nicht mehr zwischen Sachen und Menschen. Die Straftat »Landfriedensbruch« setzt die Beschädigung einer Sache mit der Verletzung von Menschen gleich und nennt beides Gewalt. Auf diese Weise kamen die Göteborger Demonstranten länger ins Gefängnis als die Folterer von Genua.
    Wir hingegen unterscheiden: Menschen sind uns mehr wert als Dinge. Es war wunderbar, dass die Bauern und Winzer vom Kaiserstuhl, als sie auf den ausgelatschten Trampelpfaden der Bürgerbeschwerden nichts erreichten, einen Zaun durchschnitten und ganz handgreiflich einen Bauplatz besetzten, um das Atomkraftwerk in Wyhl zu verhindern, was ihnen auf diese Weise und mit ein paar weiteren Aktionen und in wachsenden Bündnissen gelang.
    Unserer staatsunabhängigen, gewaltfreien, aber phasenweise auch militanten Anti-AKW-Bewegung der 1970er Jahre gelang es, direkt und indirekt, rund 70 geplante Atomkraftwerke in Deutschland zu verhindern 386 , in wenigen Jahren, ohne Staatsgelder und ohne auch nur einen parlamentarischen Vertreter. Ihre Politisierung, ihre Unberechenbarkeit und ihr Erfolg waren der Grund, warum die erste Anti-AKW-Bewegung im Deutschen Herbst von 1977 unter die Räder des Staates kam, ohne dass ihr aber bis heute – im Großen und Ganzen – ihr Erfolg wieder weggenommen werden konnte.
    Mit wem also mittel- und langfristige Bündnisse? Mit sozialdemokratischen Organisationen sind sie ausgeschlossen, das ist klar, egal ob diese nun SPD oder Linkspartei heißen. Für einen Tag gemeinsam z.B. in Dresden gegen Nazis zu demonstrieren, ist natürlich okay. Längere und festere Bündnisse sind ausgeschlossen seit der SPD/Linkspartei-Koalition von Berlin, seit dem Deutschen Herbst, seit den Notstandsgesetzen, seit der großen Koalition, seit Godesberg, seit Ebert und Noske, seit den Kriegskrediten von 1914. Wenn es auch bei manchen lange gedauert hat, den Charakter des Reformismus zu begreifen, Hauptsache, man hat ihn endlich begriffen. Also kein Bündnis mit SPD und Linkspartei. Und natürlich ebenso wenig mit einer antisozialen bis reformistischen, naturzerstörerischen grünen Kriegspartei und auch nicht den bürgerlichen Piraten. Also: reformismusfreie Zonen!
    Eine neue staatsunabhängige antikapitalistische Linke wird sich aufmerksam umschauen: Wo sind Bündnispartnerinnen und Bündnispartner, auch solche, an die man vielleicht noch nicht gedacht hat? Das klassische revolutionäre Subjekt, die Arbeiterklasse mit einem kollektiven Bewusstsein ihrer sozialen Lage, existiert so nicht mehr. Es gibt die Arbeiterklasse natürlich nach wie vor soziologisch, aber eben nicht als sich selbst als revolutionäre Klasse betrachtend.
    Unsere heutigen potenziellen Bündnispartner sind: Migranten, Subproletarierinnen, Straßenkinder, Facharbeiter, Schüler, Studentinnen, Leiharbeiterinnen, Künstler, Hartz-IV-Empfänger, Intellektuelle – was die Sache ein bisschen mühsamer macht, aber auch ziemlich interessant. Es kommt auf Grundüberzeugungen an, jenseits aller Unterschiede.
    Und in welche Form bringen wir das Ganze? Muss es eine haben? Ja, sogar eine verbindliche und zugleich bewegliche. Ist sie nicht verbindlich, scheucht uns der Gegner auseinander wie die Fliegen. Passen wir uns den herrschenden bürgerlichen Formen zu sehr an, ersticken wir. Erstarrt die Form, bricht sie.
    Marx war der Meinung, die Befreiung müsse das Werk der Ausgebeuteten selbst sein, an eine Partei dachte er nicht, er analysierte die neu geschaffene SPD, an der im 19. Jahrhundert noch nicht alle Hoffnung verloren war. Seine Kritik am Gothaer Programm der SPD war allerdings weitsichtig. 387 1871 korrigierte Marx das Kommunistische Manifest (1847) in einem Punkt, indem er eine Lektion aus der Pariser Kommune zog: Vor allem die »Pariser Kommune, wo das Proletariat zum ersten Mal zwei Monate lang die politische Gewalt innehatte«, habe »den Beweis geliefert, daß ›die Arbeiterklasse nicht die fertige Staatsmaschinerie einfach in Besitz nehmen und sie für ihre eignen Zwecke in Bewegung setzen kann‹«, sondern dass es, so schrieb er im April 1871 an Louis Kugelmann, darum gehe, »die bürokratisch-militärische Maschinerie [statt sie] aus einer Hand in die andere zu übertragen […] sie zu zerbrechen«, dies sei »die Vorbedingung jeder wirklichen Volksrevolution auf dem Kontinent«. 388
    Wie ist unsere Lage? Mit Parteien haben wir schlechte Erfahrungen, aber mit Bewegungen auch. Beides hat Mängel. Bewegungenkönnen an ihrer
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