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Zeit des Mondes

Zeit des Mondes

Titel: Zeit des Mondes
Autoren: Ravensburger
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der Mitte die lange Reihe der affenähnlichen Lebewesen, dann wir. Es zeigte, wie wir anfingen, aufrechter zu stehen, wie wir fast alle Behaarung verloren, wie wir anfingen, Werkzeuge zu gebrauchen, wie unsere Köpfe eine andere Form bekamen, um unsere großen Gehirne zu fassen. Coot flüsterte, das sei Unsinn. Sein Papa habe ihm erzählt, es sei völlig unmöglich, dass Affen zu Menschen werden könnten. Müsstest sie dir bloß anschauen. Das leuchtete ein.
    Ich fragte Rasputin, ob wir unsere Gestalt immer weiter verändern würden, und er sagte: „Wer weiß, Michael? Vielleicht geht die Evolution immer weiter. Vielleicht werden wir uns immer weiter verändern.“
    „Hirnverbrannt“, flüsterte Coot.
    Wir zeichneten das Skelett eines Affen und das Skelett eines Menschen. Ich erinnerte mich an das, was Mina gesagt hatte, und ich schaute das Plakat ganz genau an. Ich meldete mich und fragte: „Wozu sind Schulterblätter da?“
    Rasputin legte die Stirn in Falten. Er langte sich an den Rücken, betastete seine Schulterblätter und lächelte.
    „Ich weiß noch, was mir meine Mutter immer erzählte“, sagte er. „Aber um ehrlich zu sein, ich habe wirklich keine Ahnung.“
    Nach der Stunde zog Coot die Schultern nach vorn, senkte den Kopf und streckte das Kinn vor. Er taumelte durch den Gang, grunzte und rannte den Mädchen nach.
    Lucy Carr fing an zu schreien. „Hör auf, du Schwein!“
    Coot lachte bloß. „Schwein? Ich bin kein Schwein. Ich bin ein Gorilla“, sagte Coot. Und er rannte ihr wieder nach.
    Als ich im Hof Fußball spielte, spürte ich, wie müde ich war vom nächtlichen Wachbleiben. Leakey fragte immer wieder, was mit mir los sei. Ich spielte beschissen.
    Mrs Dando kam auch wieder zu mir, als ich allein am Spielfeldrand stand.
    „Was ist los?“, sagte sie.
    „Nichts.“
    „Und wie geht’s der Kleinen?“
    „Gut.“
    Ich schaute auf den Boden.
    „Manchmal glaube ich, sie hört auf zu atmen“, sagte ich. „Dann sehe ich sie an und es geht ihr gut.“
    „Sie wird gesund werden“, sagte sie. „Du wirst sehen. Babys bringen oft Sorgen mit sich in die Welt, aber du wirst herumbalgen mit ihr, schneller als du glaubst.“
    Sie berührte mich an der Schulter. Für einen Augenblick. Ich überlegte, ob ich ihr vom Mann in der Garage erzählen sollte. Dann sah ich, dass Leakey herüberschaute, also ließ ich sie stehen, rannte zurück und rief: „Zu mir! Zu mir!“
    Es war ein verschlafener Nachmittag. Mathe, dann Miss Clarts, die uns eine neue Geschichte vorlas, diesmal von Odysseus, wie er und seine Leute in der Höhle mit dem einäugigen Ungeheuer Polyphem eingeschlossen waren. Ich war schon fast eingeschlafen, als sie uns erzählte, die seien dadurch entkommen, dass sie vorgetäuscht hätten, sie seien Schafe.
    Ich nahm mein Skelettbild mit nach Hause. Im Bus sah ich es die ganze Zeit an. Neben mir saß ein alter Kerl mit einem Jack Russell auf den Knien. Er roch nach Pisse und Pfeifenrauch.
    „Was ist das?“, sagte er.
    „Ein Bild von dem, was wir vor langer Zeit mal waren“, sagte ich.
    „Kann nicht sagen, dass ich mich daran erinnere“, sagte er. „Und ich bin schon ganz schön alt.“
    Er fing an zu erzählen, wie er, als er noch ganz jung gewesen sei, im Zirkus einen Affen gesehen habe. Dem hätten sie beigebracht, Tee zu kochen, aber der sei wirklich nicht wie ein Mensch gewesen. Aber vielleicht habe er gerade geübt, einer zu werden.
    Spucke tropfte ihm aus dem Mundwinkel. Er wirkte, als sei er nicht ganz da.
    „In unserer Garage ist ein Mann“, sagte ich, als er wieder schwieg.
    „Ja?“, sagte er.
    Der Jack Russell bellte. Er legte ihm die Hand ums Maul. Er schien angestrengt nachzudenken.
    „Ja“, sagte er wieder. „Und ein sehr hübsches Mädchen war auf dem Trapez. Du hättest schwören können, sie könne fast fliegen.“

12
    Als ich nach Hause kam, war Doktor Tod da. Er saß mit Mama und Papa in der Küche. Er hatte das Baby auf den Knien und knöpfte ihm das Jäckchen zu. Als ich hereinkam, blinzelte er mir zu. Papa stieß mich in die Rippen. Mamas Gesicht sah ganz matt aus.
    „Es ist dieses verdammte Haus!“, sagte sie, als Doktor Tod gegangen war. „Wie soll sie gedeihen, wenn alles so dreckig und in Unordnung ist?“
    Sie zeigte aus dem Fenster.
    „Siehst du, was ich meine? Diese saublöde Toilette. Dieser verdammte Schutt. Und diese saublöde Wildnis.“
    Sie fing an zu weinen. Sie sagte, wir hätten nicht aus der Random Street wegziehen sollen. Wir
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