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Zeit des Mondes

Zeit des Mondes

Titel: Zeit des Mondes
Autoren: Ravensburger
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streifte mir am Bein vorbei. Ich schaute hinab und sah eine Katze, die mit uns durch das Tor gekommen war.
    „Säusel!“, sagte Mina und grinste.
    „Was?“
    „Der Kater heißt Säusel. Du wirst ihm überall begegnen.“
    Die Steine des Hauses waren mit den Jahren schwarz geworden. Die Fenster waren mit Brettern vernagelt. Mina rannte zur Tür und öffnete sie. Über der Tür hing ein Schild mit roter Schrift: GEFAHR .
    „Vergiss es“, sagte sie. „Es soll nur Chaoten fernhalten.“
    Sie ging hinein.
    „Komm“, flüsterte sie. „Schnell!“
    Ich ging hinein, Säusel an meiner Seite. Drinnen war es stockfinster. Ich konnte nichts sehen. Mina nahm mich an die Hand.
    „Bleib nicht stehen“, sagte sie und führte mich weiter hinein.
    Sie führte mich eine breite Treppe hinauf. Als meine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, erkannte ich die Umrisse der mit Brettern vernagelten Fenster, der dunklen Eingänge und der großen Treppenabsätze. Wir stiegen drei Treppen hinauf und kamen an drei Treppenabsätzen vorbei. Dann verengten sich die Treppen und wir kamen zu einem letzten engen Eingang.
    „Der Dachboden“, flüsterte sie. „Sei dort drinnen ganz still. Könnte sein, sie wollen nicht, dass du in ihrer Nähe bist. Vielleicht greifen sie dich an!“
    „Vielleicht was?“
    „Wie mutig bist du? Sie kennen mich und sie kennen Säusel, aber dich kennen sie nicht. Wie mutig bist du? So mutig wie ich?“
    Ich starrte sie an. Wie konnte ich das wissen?
    „Ja, das bist du“, sagte sie. „Das musst du sein.“
    Sie drehte den Türgriff. Sie hielt den Atem an. Sie nahm mich wieder an die Hand, führte mich hinein und schloss hinter uns die Tür. Sie kauerte sich auf den Boden und zog auch mich zu sich herunter. Der Kater lag ruhig neben uns.
    „Sei ganz still“, flüsterte sie. „Sei ganz ruhig. Beobachte bloß.“
    Wir waren direkt unter dem Dach. Es war ein großer Raum mit einer schrägen Decke. Der Bretterboden war rissig und uneben. Verputz war von den Wänden gefallen. Licht kam durch ein bogenförmiges Fenster, das durch das Dach hinausragte. Zersplittertes Glas lag auf dem Boden unter dem Fenster. Durch das Fenster konnte man die Dächer und die Kirchtürme der Stadt sehen und die sich rot färbenden Wolken, während der Tag allmählich zu Ende ging.
    Ich hielt den Atem an. Das Zimmer wurde dunkler und röter, als die Sonne unterging.
    „Was wird passieren?“, flüsterte ich.
    „Schsch. Beobachte einfach. Warte und beobachte.“
    Dann zitterte sie.
    „Schau! Schau!“
    In einer Ecke flatterte ein farbloser Vogel auf und flog lautlos zum Fenster, saß dort und sah hinaus. Dann kam ein anderer, kreiste einmal durch das Zimmer, schlug mit seinen Flügeln dicht an unseren Gesichtern vorbei und ließ sich vor dem Fenster nieder. Ich atmete nicht. Mina hielt meine Hand fest. Ich beobachtete die Vögel, wie sie ihre großen runden Gesichter einander zuwandten, wie ihre Krallen sich am Fensterrahmen hielten. Dann flogen sie lautlos in die rote Dämmerung hinaus.
    „Käuze“, flüsterte Mina. „Waldkäuze!“
    Und sie schaute wieder direkt in mich hinein und lachte.
    „Manchmal greifen sie Eindringlinge an. Aber sie haben gesehen, dass du mit mir zusammen bist. Sie wussten, dass du keine Gefahr bist.“
    Sie zeigte auf die hintere Wand, auf ein klaffendes Loch, wo Verputz und Ziegelsteine herabgefallen waren.
    „Das ist das Nest“, sagte sie. „Es sind junge Vögel drin. Geh nicht hin. Sie verteidigen sie rabiat.“
    Sie lachte, weil ich ganz sprachlos war.
    „Komm“, flüsterte sie. „Schnell!“
    Und wir verließen den Dachboden, rannten die breiten Treppen hinab und aus dem Haus hinaus in den Garten. Sie schloss die Tür und das Gartentor ab, und wir rannten durch die Straßen zu unserer Wildnis.
    „Erzähl es niemandem“, flüsterte sie.
    „Nein“, sagte ich.
    „Schwöre es“, sagte sie.
    „Was?“
    „Hand aufs Herz und schwöre es.“
    „Ich schwöre.“
    „Gut“, sagte sie und rannte weg, gefolgt von Säusel.
    Ich trat durch unser Gartentor und sah durch das Fenster Papa, der sich streckte, um die Wände des Esszimmers zu streichen.

14
    Am nächsten Tag ging ich nicht zur Schule.
    Als ich gerade mit Papa frühstückte, fing ich ohne Grund an zu zittern. Er legte den Arm um mich.
    „Wie wäre es, wenn du heute mit mir arbeiten würdest?“, fragte er.
    Ich nickte.
    „Wir bereiten alles vor für die beiden, ja?“, sagte er. „Wir, du und ich.“
    Ich hörte ihn am
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