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Zeit des Mondes

Zeit des Mondes

Titel: Zeit des Mondes
Autoren: Ravensburger
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die wie eine Krähe im Baum sitzt. Die Kleine, die ihn von der Schule fernhält.
    Miss Clarts hatte geschrieben: „Schreib noch einmal eine solche Geschichte wie die letzte, Michael. Eine genauso schöne. Lass deiner Fantasie freien Lauf.“
    Ich schloss die Augen. Ich wollte mir nichts vorstellen. Das Baby war tot. Skellig war fort. Die Welt, die zurückgeblieben war, war hässlich, kalt, erschreckend. Die Amseln schrien und schrien, während Mrs Dando Minas Mutter erzählte, was für ein großer Fußballer ich sei und wie gern ich mit den anderen herumtolle.
    Minas Mutter lächelte.
    „Wie geht es dem Baby?“, fragte Mrs Dando schließlich.
    „Weiß nicht“, flüsterte ich.
    „Es wird heute operiert“, sagte Mina.
    „Oh, die arme Kleine“, sagte Mrs Dando.
    „Ja“, sagte Mina. „Um ganz ehrlich zu sein, Mrs Dando, Michael mit Unwichtigem wie Fußball und Schule zu behelligen, ist sicher das Letzte, was er braucht.“
    Ihre Mutter seufzte. „Mina“, sagte sie.
    „Wirklich“, sagte Mina. „Stimmt doch? Michael?“
    Ich hielt es nicht aus. Ich setzte mich auf die vordere Mauer und drehte ihnen den Rücken zu.
    „Da, bitte“, sagte Mina. „Jetzt hat er sich Ihretwegen wieder aufgeregt.“
    Und dann fuhr Papa in die Straße herein und stoppte direkt vor mir. Er hielt die Tür auf. Ich setzte mich neben ihn. Er legte den Arm um mich.
    „Es ist überstanden, Junge“, sagte er.

41
    Ich hatte nicht Recht gehabt. Meine Schwester war nicht tot. Nach der Narkose lag sie in einem langen tiefen Schlaf. Sie schnarchte ein bisschen unter der Decke. Mama erzählte uns von der großen Wunde in der kleinen Brust und dem großen Verband. Wieder die Drähte und Schläuche und eine Maschine, die im Takt mit ihrem winzigen Herzen piepste.
    „Sie sagten, alles werde jetzt gut, Michael“, sagte sie. „Sie sind sicher, dass alles gut wird.“
    Wir drei saßen dort, Hand in Hand, und schauten auf das zarte Geschöpf.
    „Sie sagten, sie hätten einen Moment geglaubt, sie hätten sie verloren.“ Mama legte den Arm um mich. „Aber sie ist wieder ins Leben zurückgekehrt.“
    Eine Krankenschwester kam. Sie überprüfte die Drähte und Schläuche und die Maschine. Sie tätschelte meinen Kopf.
    „Deine Schwester hat ein feuriges Herz“, sagte sie. „Sie ist eine kleine Kämpferin. Sie gibt nicht auf.“
    „Betest du immer noch für sie?“, fragte Mama.
    „Ja“, sagte ich.
    „Wir haben uns noch einmal überlegt, wie wir sie nennen sollen“, sagte Papa.
    „Persephone“, sagte ich.
    Sie lachten.
    „Ein zu kompliziertes Wort“, sagte er.
    „Es muss etwas sehr Kleines und sehr Starkes sein“, sagte Mama. „Genau so, wie sie ist.“
    „Gus“, sagte Papa und wir kicherten.
    „Butch“, sagte ich.
    „Garth“, sagte Mama.
    „Buster“, sagte Papa.
    „Schaut“, sagte Mama. „Sie träumt.“
    Ja, sie träumte. Ihre Augen bewegten sich hinter den Lidern.
    „Ich möchte wissen, was sie sieht“, sagte Papa.
    „Nur Schönes, hoffe ich“, sagte Mama.
    „Sicher“, sagte Papa. „Schaut ihr Gesicht an. Süß und still, beinahe ein Lächeln. Kleiner Engel. Ich hab’s. Wir könnten sie Angela nennen. Ach nein, zu lang.“
    „Das war wirklich merkwürdig“, sagte Mama.
    Sie verstummte und schüttelte den Kopf.
    „Was war merkwürdig?“, fragte Papa.
    Mama richtete das Gesicht nach oben, als wenn sie erstaunt wäre.
    „Also“, sagte sie, „ich habe letzte Nacht hier gelegen, warf mich hin und her, wälzte mich. Stand immer wieder auf, um nach ihr zu sehen. Schlief immer wieder ein. Und der merkwürdigste aller Träume …“
    „Und?“, sagte Papa.
    „Und ich sah diesen Mann, das ist alles. Ein Traum, obwohl ich sicher war, dass ich wach war. Er stand über dem Baby. Er war schmutzig. Ganz in Schwarz, ein alter staubiger Anzug. Ein großer Buckel auf seinem Rücken. Das Haar verfilzt und verstrubbelt. Ich hatte große Angst. Ich wollte auf ihn los. Ich wollte ihn wegstoßen. Ich wollte schreien: Gehen Sie von unserem Baby weg! Ich wollte die Krankenschwestern und die Ärzte rufen. Aber ich konnte mich nicht bewegen, konnte nicht sprechen, und ich war sicher, dass er sie mitnehmen würde. Dann wandte er sich um und schaute mich an. Sein Gesicht war weiß und trocken wie Kalk. Und es war so eine Zärtlichkeit in seinen Augen. Und auf einmal war mir klar, er war nicht gekommen, um ihr etwas anzutun. Ich wusste, es würde ihr nichts passieren …“
    Sie verstummte und schüttelte den
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