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Zeit des Mondes

Zeit des Mondes

Titel: Zeit des Mondes
Autoren: Ravensburger
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wird dir sagen, dass alles gut ist.“
    „Erzähl ihm nichts über mich“, sagte ich. „Er braucht sich keine Sorgen um mich zu machen.“
    Sie lächelte und drückte mich fest an sich.
    „Wo zum Teufel ist Skellig?“, fragte ich.
    Sie schüttelte den Kopf und wir gingen weiter. Hoch über uns flatterte ein großer schwerer Vogel durch das Blau.
    „William Blake ist auch manchmal ohnmächtig geworden“, sagte Mina. „Er sagte, die Seele sei fähig, aus dem Körper herauszuspringen und dann wieder in ihn zurückzuspringen. Er sagte, das könne durch große Angst oder großen Schmerz ausgelöst werden. Manchmal auch durch zu große Freude. Man könne überwältigt werden von so viel Schönheit in der Welt.“
    Wir gingen weiter. Mein Körper war schwer und unbeholfen, als ob ich Arthritis hätte, als ob ich langsam versteinerte.
    „Ich glaube, du verstehst das“, sagte sie.
    Ich konnte nicht sprechen. Mein Mund war trocken und sauer, als ob ich geschluckt hätte, was die Käuze auf das Fensterbrett gelegt hatten.
    „Ja“, sagte sie. „Das hat er gesagt. Die Seele springt hinaus und dann springt sie wieder zurück.“ Sie lachte. „Das ist wie ein Tanz.“
    Wir gingen zu Minas Haus zurück. Wir setzten uns auf die Treppe und beobachteten die Vogeljungen.
    „Vielleicht ist er für immer fortgegangen, wie er es angekündigt hat“, sagte ich.
    Ich hielt die Hand auf mein Herz und wir warteten auf Papa.

40
    Minas Mutter hatte ein Holzbrett auf die Knie gelegt. Sie lächelte und legte einen Granatapfel auf das Brett.
    „Granatapfel“, sagte sie. „Ist das nicht ein hübsches Wort?“
    Sie schnitt die Frucht mit einem Küchenmesser auseinander. Der rote Saft lief heraus. Im Inneren wurden Hunderte von Kernen sichtbar.
    „Das aß Persephone, während sie in der Unterwelt wartete“, sagte sie.
    Sie gab ein Viertel mir, ein Viertel Mina, ein Viertel nahm sie selbst.
    Sie gab uns Stecknadeln, um damit die Kerne herauszupicken, wir saßen da und nagten das süße Fleisch von den bitteren Kernen weg.
    „Darin seht ihr das ganze Leben“, sagte sie. „Jeder Kern könnte ein Baum werden, und jeder Baum könnte wieder hundert Früchte tragen, und jede Frucht könnte wieder hundert Bäume hervorbringen. Und so weiter bis ins Unendliche.“
    Ich klaubte mit den Fingern die Kerne von der Zunge.
    „Stellt euch bloß vor“, sagte sie. „Wenn jeder Same aufgehen würde, gäbe es in der Welt keinen Platz mehr für etwas anderes als für Granatapfelbäume.“
    Ich leckte meine Lippen. Mina saß dicht neben mir. Wir beobachteten die Amseln, die immer wieder zurückkamen, um ihre Jungen zu füttern. Ich beobachtete den Himmel und stellte mir vor, Skellig fliege dahin, ein winziger schwarzer Punkt, auf der Reise über die endlosen Rundungen der Welt. Das Telefon läutete und mein Herz pochte und raste, als Minas Mutter hineinging, aber es war nicht Papa. Ich zupfte Samen für Samen aus der Frucht.
    „Wie geht es deinem Herzen?“, flüsterte Mina.
    Ich versuchte den sanften Schlag des Babys unter meinem schnellen und ängstlichen Pochen zu finden. Ich schüttelte den Kopf.
    „Sie ist nicht da.“
    Die Sonne stieg höher, wurde wärmer und wärmer. Bald radelte Mrs Dando die Straße entlang und sah uns dasitzen. Sie kam eilig in den Garten herein, während die Amseln ihre Warnrufe vom Dach herabschrien und die Vogeljungen in das schützende Gebüsch trippelten.
    „So ein wunderschöner Tag“, sagte sie. Sie strahlte uns an.
    „Wir alle vermissen dich“, sagte sie.
    Minas Mutter gab ihr das letzte Viertel des Granatapfels, und sie nagte die Samen ab und kicherte.
    „Granatäpfel“, sagte sie. „Seit ich ein zwölfjähriges Mädchen war, habe ich keinen mehr gegessen.“
    Sie erzählte mir von Leakey und Coot und allen anderen. „Immer wieder sagen sie: Holen Sie Michael zurück.“
    Sie gab mir neue Arbeitsblätter. Da war ein aufgeschnittener Körper gezeichnet, dazu Pfeile, die auf die einzelnen Teile zeigten. Rasputin hatte notiert, ich solle die fehlenden Namen ergänzen. Mina und ich schauten zusammen die Zeichnung an.
    „Schienbein“, sagten wir. „Wadenbein, Brustbein, Schlüsselbein, Speiche, Elle, Nieren, Leber, Lungen, Herz, Gehirn.“
    „Und ein Geist, der hineinspringt und hinausspringt, aber immer unsichtbar“, sagte Mina.
    Mrs Dando schaute sie nachdenklich an. Ich wusste, dass Coot Mrs Dando von ihr erzählt haben musste. Ein übermütiges Affenmädchen, wird er gesagt haben. Die Kleine,
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