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Zeit des Lavendels (German Edition)

Zeit des Lavendels (German Edition)

Titel: Zeit des Lavendels (German Edition)
Autoren: Petra Gabriel
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Gesprächen. Doch ich mischte ihr pflichtschuldigst ihre Kräuter und hörte ihr zu. Manchmal fragte sie mich in dem einen oder anderen Fall sogar um Rat. Ich war mir der Ehre bewusst.
    Ähnliches galt auch für die Menschen der Stadt. Sie hatten mich als eine der ihren akzeptiert, obwohl ich anders war und es immer sein würde. Sicher, manche rümpften noch über das Niemandskind die Nase. Auch das würde immer so bleiben. Doch es machte mir nichts mehr aus. Und je weniger es mich berührte, desto weniger Aufhebens machten die Menschen darum, dass sie nicht wussten, wer meine Eltern waren. Vielleicht hatte ihre Unsicherheit auch daher gerührt, dass ich mich so lange ausgeschlossen, anders, allein gefühlt hatte.
    Wenn ich gerufen wurde, sah ich immer öfter ein Lächeln.
    Sie grüßten mich auf der Straße. Und sie kamen auch tagsüber in mein Haus, um ihre Kräuter zu holen, ihre Wehwehchen vorzutragen, mir ihren Kummer zu erzählen. Manchmal reichte es schon, einfach zuzuhören, damit ein Mensch mit neuer Kraft seinen Alltag bewältigen konnte.
    Im Juni nach meiner Heimkehr heirateten Matthias Henlein und meine Freundin Elisabeth. Ganz Seggingen nahm an der Trauung teil, jeder auf seine Weise. Elisabeth strahlte, sie sah fast aus wie 18, als ihr Mann schließlich vor dem Altar ihren Schleier hob und sie sanft küsste. Jedenfalls errötete sie wie ein junges Mädchen. Ich freute mich aus ganzem Herzen mit ihnen.
    Und dann kam jener Tag, an dem mein Leben neu begann.
    Es war ein wunderschöner Julinachmittag. Rings um unser kleines Haus stand der Lavendel in voller Blüte und verströmte jenen Duft, der für mich schon immer ein Bote der Hoffnung gewesen war. Ich hatte einige freie Stunden genutzt und war mit den Kindern zum alten Bootssteg gegangen. Es war heiß, doch der Wind und die Kühle vom Fluss strichen durch mein Haar, die bekannte, widerspenstige Strähne kitzelte meine Nase. Ich saß auf dem morschen Steg mit den nun fast völlig durchgefaulten Bohlen, hatte die Schuhe ausgezogen und spielte mit den Zehen im Wasser. Es war inzwischen nicht ganz ungefährlich, hier zu sitzen. Doch ich hatte diese Stelle schon immer geliebt. Mein Blick schweifte hinüber zur Stadt, zu den aneinander geschmiegten Dächern hinter der Mauer, zu den beiden hohen Türmen des Fridolinsmünsters. Am Ufer, unter den langen, hängenden Ästen einer Trauerweide lachten meine Kinder. Anna wollte Frau und Mann spielen. Thomas musste mitmachen, ob er wollte oder nicht. Sie konnte sehr bestimmend sein, meine kleine Tochter. Doch mein gutmütiger Sohn ließ sich schließlich breitschlagen, alle die Gerichte zu essen, die sie ihm, ganz wie eine geschäftige Hausfrau, auf Blättern servierte.
    Ich hörte sie schallend lachen, als ihm der »Fisch« aus Stöckchen vom Blatt-Teller fiel, und musste schmunzeln, als ich gleich darauf ihre Kinderstimme sehr streng sagen hörte: »Thomas, du solltest besser aufpassen. Wenn du immer kleckerst, muss ich gleich die ganze Stube fegen.« Es war, als hörte ich mich selbst.
    Ich hielt mein Gesicht in die Sommersonne, blinzelte mit den Augen und beobachtete eine Weile lang die glitzernden Punkte, die das Sonnenlicht aufs Wasser zauberte. Ich hörte die Stimmen meiner Kinder, das Wasser des Flusses, wie es gegen die Bohlen platschte, sah einer kleinen Haubentaucherfamilie zu, wie sie eifrig auf Jagd ging. Das Männchen entfernte sich im Eifer des Gefechtes immer weiter von seiner Frau mit den Jungen. Da wurde sie unruhig. Ich beobachtete, wie sie den Kopf reckte, die Wasseroberfläche absuchte und hoffte, ihr Mann würde gleich wieder auftauchen. Eine glückliche Familie.
    Wieder musste ich an Konz denken. Ich vermisste ihn so unsäglich. Nur der Gedanke daran, dass es für ihn besser war, dass ich aus seinem Leben verschwunden war, half mir ein wenig. Ich hoffte so sehr, dass er endlich glücklich sein durfte. Anna konnte sich nicht mehr an ihren Vater erinnern. Dafür hatte Thomas anfangs immer wieder nach ihm gefragt. Doch ich wusste keine Antwort. Zumindest keine, die ich ihm geben konnte. Mir war klar, dass ich meinen Kindern irgendwann einmal die ganze Geschichte erzählen musste. Sie hatten ein Recht darauf zu erfahren, was aus ihrem Vater geworden war. Sie sollten nicht aufwachsen müssen wie ich, ohne zu wissen, woher sie kamen. Doch ich fürchtete mich auch davor. Vielleicht würden sie mich dann nicht mehr lieben. Denn schließlich war ich es gewesen, die ihnen den Vater genommen hatte. Aber
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