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Zeit des Lavendels (German Edition)

Zeit des Lavendels (German Edition)

Titel: Zeit des Lavendels (German Edition)
Autoren: Petra Gabriel
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in der Lage war. Nur das war wichtig. Er würde leben. Wenn auch nicht mit mir. Ich wusste, ich hatte ihn für immer verloren. Nun blieb mir nur noch eines: Magdalena von Hausen heimzubringen, um wenigstens sie zu retten. Diese Frau, mit der mich ein ganzes Leben verband. Außerdem wollte ich zu meinen Kindern, zu den beiden einzigen Menschen, die mir jetzt noch als Heimat blieben. Ich wollte sie in die Arme nehmen, wollte Stück für Stück versuchen, mein zerbrochenes Leben wieder zusammenzusetzen. Dort am Rhein, der Heimat meiner Ahnen, und beim Stein der Seconia.
    Die Reise zurück an den Rhein kostete mich viel Kraft. Fast die letzte, die ich noch hatte. Doch jetzt war es an mir, stark zu sein. Denn die Frau, die immer für mich stark gewesen war, konnte es nicht mehr. Mit uns reiste der kleine Giorgio. Er hing rührend an Magdalena von Hausen, hatte sich zu ihrem Beschützer ernannt. Er war der Einzige, der der verzweifelten, blassen, lethargischen Frau noch ein Lächeln abringen konnte. Es war, als wäre dieser kleine Junge der letzte seidene Faden, der sie noch ans Leben band. Cajetan von Thiene hatte dafür gesorgt, dass der Knabe die notwendigen Papiere bekam, um mit uns reisen zu können. Wie er das geschafft hatte, verriet er uns nicht. Jedenfalls war klar, Giorgio hatte keine Eltern mehr. Das hatte der Generalpräpositus in einem Gespräch mit dem römischen Straßenkind herausgefunden.
    Giorgio hatte laut Thiene panische Angst, wieder zurückzumüssen ins Reich der Diebe. Sie hatten ihm gedroht, ihn zu verkrüppeln, ihm die Finger abzuschneiden, sollte er versagen. Ein verkrüppelter Bettler sammelte ebenso viel Geld wie ein gesunder Dieb.
    »Erzieht ihn zu einem guten, gottesfürchtigen Mann«, hatte der Theatiner uns zum Abschied gebeten. Wir gaben ihm das Versprechen. Als wir uns von diesem großherzigen Mann verabschiedeten, hatten wir das Gefühl, einen Freund gefunden zu haben; auch wenn er nie einen Hehl daraus machte, dass er das, was wir getan hatten, zutiefst missbilligte. Doch ich erkannte in seinen Augen das tiefe Mitleid, das er mit der zerstörten Frau fühlte, zu der Magdalena von Hausen geworden war.
    So reiste Giorgio also mit uns. Wir hatten eine Kutsche gemietet. Magdalena von Hausen war zu schwach, um zu reiten.
    Es war ein schöner September, der Beginn eines sonnigen Altweibersommers. Selbst auf den Höhen des Gotthardpasses war es in diesem Jahr noch ungewöhnlich warm. Doch die Wärme der Sonne erreichte mein Inneres nicht. Vielleicht würde ich wieder beginnen zu fühlen, wenn ich meine Kinder in den Armen hielt.
    Magdalena von Hausen bekam nach einigen Tagen hohes Fieber. Ich tat, was ich konnte, um es zu senken. Warm zugedeckt, mit Giorgio an ihrer Seite, lag sie in der Kutsche. Doch ich hatte jeden Tag weniger Hoffnung. Sie schien mir unter den Händen dahinzuschwinden. In den Nächten flehte ich Seconia an, mir die Kraft zu senden, die ich brauchte. Denn in Magdalena von Hausen glühte nur noch ein kleiner, kaum wahrnehmbarer Lebensfunke.
    Ich hatte sie schon einmal am Rande des Todes erlebt. Doch damals hatte der Glaube ihr Kraft gegeben. Jetzt hatte sie noch nicht einmal mehr diesen Anker. Die tiefe Verbindung zu ihrem Gott schien völlig zerbrochen zu sein. Sie betete nicht mehr. An ihrer Liebe und dem Verschwinden Thomas Leimers war sie nicht gestorben. Mit dem Verlust ihres Glaubens an die göttliche Vorsehung und seine Weisheit, an diese Macht, die sie auch in den schlimmsten Stunden ihres Lebens geleitet hatte, schien auch ihr Lebenswille zu erlöschen. Denn Glaube war für sie das Leben selbst, so sehr wie der eigene Atem.
    »Verzeih mir, Katharina. Ich dachte, ich könne Schicksal spielen. Ich wollte doch nur das Gute, ein gegebenes Versprechen einlösen, eine Seele zurück auf den Weg des Allmächtigen führen. Nun habe ich euch alle zerstört! Gott hat mich verlassen. Vielleicht war er nie an meiner Seite. Vielleicht gibt es ihn auch nicht. Alles ist meine Schuld.« Sie weinte, als sie das sagte.
    Mir zerriss es fast das Herz, dass sie sich allein die Schuld gab an diesen schrecklichen Geschehnissen. Doch sie war nicht davon abzubringen, auch wenn ich ihr wieder und wieder erklärte, dass sie keine Schuld treffe. Es war mein Versagen, mein Betrug an einem guten, liebenswerten Mann, der all diese Ereignisse ins Rollen gebracht, all dieses Unglück verschuldet hatte. Aber sie hörte mich nicht. Nichts, kein Trost, keine Hoffnung, konnte in das Dunkel ihres Inneren
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