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Zeit deines Lebens

Titel: Zeit deines Lebens
Autoren: Cecelia Ahern
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deines Lebens wütend bleiben.«
    »Okay«, sagte der Truthahnjunge defensiv und setzte sich aufrecht hin, als erwartete er eine Strafpredigt vom Direktor.
    »Gabe hat Lou
Zeit
geschenkt, Junge.«
    Der Truthahnjunge rümpfte die Nase.
    »Oh, klar, du bist vierzehn und denkst, du hast alle Zeit der Welt. Aber das stimmt nicht. Keiner von uns hat endlos Zeit. Aber wir verschwenden unsere Zeit mit dem gleichen Elan und der gleichen Achtlosigkeit wie die Schnäppchenjäger im Januar ihr Geld. In einer Woche wird es auf den Straßen von diesen Leuten nur so wimmeln, die mit weit offenem Portemonnaie die Läden überschwemmen und ihr Geld mit vollen Händen zum Fenster hinauswerfen.« Einen Augenblick schien es, als würde Raphie sich wieder in sein Schneckenhaus zurückziehen, und seine Augen versteckten sich unter den buschigen grauen Brauen.
    Der Truthahnjunge beugte sich vor und starrte ihn an, offensichtlich amüsiert darüber, dass Raphie plötzlich so etwas wie Gefühle zeigte. »Aber man kann ja wieder neues Geld verdienen, wen kümmert es also?«
    Mit einem Ruck tauchte Raphie aus seiner Trance auf und {359 } starrte den Truthahnjungen an, als sähe er ihn zum ersten Mal. »Und genau das macht die Zeit ja so wertvoll, richtig? Wertvoller als Geld, wertvoller als sonst irgendetwas. Kein Mensch kann sich wieder neue Zeit dazuverdienen. Wenn eine Stunde, eine Woche, ein Monat vergangen ist, kriegt man sie nicht zurück, nie mehr. Für Lou Suffern wurde die Zeit knapp, und Gabe hat ihm ein bisschen Extrazeit geschenkt, damit Lou seine Angelegenheiten regeln und zu einem guten Ende bringen konnte. Das ist das Geschenk, um das es hier geht.« Raphies Herz pochte wild in seiner Brust. Er schaute auf seinen Kaffee hinunter und schob ihn weg, denn er merkte, wie sein Herz sich plötzlich zusammenkrampfte. »Deshalb sollten wir die Dinge in Ordnung bringen, bevor … «
    Ihm blieb die Luft weg, und er wartete, bis der Krampf vorbei war.
    »Meinen Sie, es ist zu spät, um … « Der Truthahnjunge wickelte das Kapuzenband seines Pullis um den Finger und stockte. »Na ja, Sie wissen schon, um die Dinge in Ordnung zu bringen, die Dinge mit … na ja … wissen Sie … «
    »Mit deinem Dad?«
    Der Junge zuckte die Achseln und sah weg. Anscheinend wollte er es lieber nicht zugeben.
    »Es ist nie zu spät –« Abrupt hielt Raphie inne und nickte, als wäre ihm etwas eingefallen, nickte noch einmal, stand mit entschlossenem Gesicht auf und schob seinen Stuhl zurück.
    »Warten Sie, wo wollen Sie denn hin?«
    »Dinge in Ordnung bringen, Junge. Und ich schlage vor, du machst das Gleiche, wenn deine Mutter dich nachher abholt.«
    Der Teenager blinzelte ihn an, und in seinen blauen Augen {360 } war die Unschuld noch zu erkennen, wenn auch verschleiert vom Nebel aus Wut und Verwirrung.
    Raphie ging den Korridor hinunter und lockerte unterwegs seine Krawatte. Als er eine Stimme seinen Namen rufen hörte, drehte er sich nicht um, sondern verließ den Belegschaftsbereich und betrat den Empfangsraum, der heute an Weihnachten leer war.
    »Raphie!«, rief Jessica, denn sie war es, die hinter ihm herjagte.
    »Ja?«, antwortete er und blickte sich ein bisschen atemlos zu ihr um.
    »Alles klar mit dir? Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen. Ist es dein Herz? Bist du okay?«
    »Alles in Ordnung«, entgegnete er nickend. »Alles in Ordnung. Was ist los?«
    Jessica kniff die Augen zusammen und musterte ihn durchdringend, denn sie wusste, dass er log. »Macht der Junge dir Schwierigkeiten?«
    »Nein, überhaupt nicht, er frisst mir inzwischen aus der Hand, könnte man sagen. Wirklich – alles in Ordnung.«
    »Wohin gehst du dann?«
    »Eh?« Er blickte zur Tür, aber ehe ihm noch eine Lüge einfallen wollte, noch eine Unwahrheit, wie er das seit zehn Jahren praktizierte, seufzte er – ein langer Seufzer, den er schon seit langer Zeit mühsam zurückhielt – und gab sich geschlagen. Die Wahrheit klang sonderbar, aber tröstlich, als sie sich endlich von seiner Zunge löste.
    »Ich möchte nach Hause«, sagte er und wirkte auf einmal sehr alt. »Ich möchte, dass der Tag vorbei ist und ich zu meiner Frau nach Hause kann. Und zu meiner Tochter.«
    »Du hast eine Tochter?«, fragte sie überrascht.
    »Ja«, antwortete er, schlicht, aber von Herzen. »Ich habe {361 } eine Tochter. Sie wohnt auch da oben in Howth. Deshalb bin ich jeden Abend mit dem Auto dort. Ich möchte sie einfach im Auge behalten. Auch wenn sie nichts davon
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