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Zeit deines Lebens

Titel: Zeit deines Lebens
Autoren: Cecelia Ahern
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umhergeschleudert, und er stieß einen lauten Schrei aus. Der Airbag schlug ihm ins Gesicht, seine Nase begann zu bluten, und er verlor vorübergehend das Bewusstsein, so dass die nächsten Sekunden in einem stillen, blutigen Chaos versanken.
    Wenig später öffnete Lou die Augen. Er versuchte die Situation einzuschätzen, aber sosehr er sich anstrengte, {340 } er konnte es nicht. Um ihn war nichts als Finsternis, und er war unfähig, sich zu rühren. Ein Auge war von einer dicken, öligen Substanz überzogen, so dass er es nicht richtig öffnen konnte, und mit der Hand, die sich mühsam bewegen ließ, ertastete er überall auf seinem Körper die gleiche widerliche Masse. Vorsichtig bewegte er die Zunge im Mund und nahm einen metallischen Geschmack wahr. Blut. Er versuchte, die Beine zu strecken, aber es gelang ihm nicht. Immerhin gehorchte ihm ein Arm. Er redete sich gut zu. Ruhe bewahren. Was sollte er tun? Zum ersten Mal in seinem Leben gelang es ihm nicht, auch nur einen einzigen Gedanken in Worte zu fassen. Als der Schock nachließ, traf ihn der Schmerz mit voller Wucht.
    Die Bilder von Ruth gingen ihm nicht aus dem Kopf. Von Lucy, von Pud, von seinen Eltern. Sie waren ganz in der Nähe, irgendwo da oben auf dem Hügel, er hatte es fast geschafft. Und so begann Lou Suffern in der Dunkelheit – eingeschlossen in einem zerschmetterten Auto, mitten zwischen Ginster und Strauchveronika, irgendwo am Hang von Howth – leise zu weinen.
     
    Raphie und Jessica fuhren ihre übliche Runde und kabbelten sich gerade über Raphies Country-Kassette, mit der er Jessica gerne quälte, als sie an die Stelle kamen, wo Lou von der Straße abgekommen war.
    »Warte mal, Raphie«, unterbrach Jessica sein Gejaule über sein »achy breaky heart«.
    Aber er sang nur noch lauter.
    » RAPHIE !«, brüllte sie und drückte auf Stopp.
    Überrascht sah er sie an. »Okay, okay, dann schieb eben deine Freezing Monkeys rein oder wie die sich nennen.«
    »Nein, halt an, Raphie«, sagte Jessica in einem Ton, dass er sofort an den Rand fuhr. Sie sprang aus dem Wagen und rannte die wenigen Schritte zurück zu der Stelle, auf die sie wegen der umgeknickten Äste und Sträucher aufmerksam geworden war. Hastig zog sie ihre Taschenlampe hervor und leuchtete den Abhang hinunter.
    »O Gott, Raphie, wir müssen die Rettung rufen«, rief sie ihrem Partner zu. »Notarzt und Feuerwehr!«
    Raphie machte augenblicklich kehrt und rannte zurück zum Streifenwagen, wo er den Funkspruch durchgab.
    »Ich geh runter!«, rief sie und bahnte sich auch schon einen Weg durchs Unterholz, den steilen Hang hinunter.
    »Nein, nicht, Jessica!«, hörte sie Raphie antworten, aber sie kümmerte sich nicht darum. »Komm zurück, das ist gefährlich!«
    Schon nach kurzer Zeit hatte sie seine Stimme vollkommen ausgeblendet und hörte nur noch ihren eigenen Atem, schnell und heftig, und den Puls in ihren Ohren.
    Ein Anblick wie der des Autowracks, das zur Unkenntlichkeit zerfetzt, zerquetscht und verbeult auf dem Dach lag, hätte Jessica, die neu war bei der Polizei, erspart bleiben sollen. Aber sie hatte genau so etwas schon einmal gesehen. Ja, was sie da vor sich hatte, war ihr nur allzu vertraut: Ähnliche Szenen verfolgten sie in ihren Träumen und ließen ihr auch in vielen wachen Momenten keine Ruhe. Als sie nun in dieser Nacht ihrem persönlichen Alptraum gegenüberstand, der Wiederholung einer traumatischen Erfahrung, wurde sie von einem so heftigen Schwindel überfallen, dass sie schnell in die Hocke ging und den Kopf zwischen die Knie steckte. Eines von Jessicas mühsam verdrängten Geheimnissen war gekommen, um sie heimzusuchen. Sie hoffte inständig, dass sich kein {342 } Mensch in diesem Wrack befand, denn das Auto war völlig zerstört, sogar das Nummernschild fehlte, und in der Dunkelheit konnte sie nicht erkennen, ob es blau war oder schwarz.
    Im eisigen Regen, der erbarmungslos auf sie herabprasselte und sie im Handumdrehen durchnässte, kletterte sie weiter auf die Überreste des Wagens zu. Der Boden unter ihren Füßen war nass und schlammig, und sie geriet immer wieder ins Rutschen, aber sie spürte den Schmerz nicht, als ihr Knöchel umknickte, spürte nicht die Äste und Zweige, die ihr das Gesicht zerkratzten, und auch nicht die unter den Ginsterbüschen verborgenen Felskanten, die ihr in die Beine schnitten. Ihr Herz raste, und sie war wie gefangen in einer fernen Erinnerung.
    Behutsam ging sie um das Wrack herum, und als sie auf der anderen Seite ankam,
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