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Zeit deines Lebens

Titel: Zeit deines Lebens
Autoren: Cecelia Ahern
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setzen«, sagte Raphie sanft.
    »Wir sollten vor allem Lou holen«, wisperte sie und sah Quentin hilfesuchend an. »Er war nicht im Bett, als ich wach geworden bin. Bestimmt ist er in seinem Arbeitszimmer.«
    »Ruth«, sagte die junge Polizistin so mitfühlend, dass Ruths Herz noch schwerer wurde, als es ohnehin schon war. Gleichzeitig wich alle Kraft aus ihrem Körper. Sie ließ sich von Quentin zur Couch führen, wo sie zwischen ihm und Lous Vater Platz nahm. Alle drei fassten sich an den Händen, so dass sie miteinander verbunden waren, während sie dem Bericht von Raphie und Jessica lauschten und von den unbegreiflichen Veränderungen in ihrem Leben {355 } erfuhren. Der Sohn, der Bruder und der Ehemann, der doch gerade erst zu ihnen gekommen war, hatte sie ebenso schnell wieder
     verlassen.
     
    Als der Weihnachtsmann seine Geschenke in den Häusern überall im Land verteilte, als langsam die Lichter erloschen, die über Nacht die Fenster erhellt hatten, als sich Türkränze in Finger verwandelten, die sich leise auf Lippen legten, als die Jalousien an den Fensterscheiben herunterglitten wie die Augenlider eines schlafenden Zuhauses, wartete der Truthahn noch darauf, durchs Fenster eines Hauses in einem anderen Viertel geworfen zu werden, und Ruth Suffern wusste noch nicht, dass sie ihren Ehemann verloren hatte, jedoch sein Kind unter dem Herzen trug. Und gemeinsam begriff die Familie – in dieser magischsten Nacht des Jahres –, was Lou ihnen in den frühen Stunden des Weihnachtsmorgens geschenkt hatte.

29 Der Truthahnjunge V
    Raphie beobachtete den Truthahnjungen, als sie zum Ende der Geschichte gekommen waren. Einen Moment war er ganz still.
    »Woher wissen Sie das alles?«, fragte er dann.
    »Wir haben es aus Gesprächen mit Lous Familie und mit seinen Kollegen nach und nach zusammengestückelt.«
    »Haben Sie auch mit Gabe gesprochen?«
    »Ja, vorhin. Aber nur ganz kurz. Wir warten noch darauf, dass er aufs Revier kommt.«
    »Und Sie waren heute früh in Lous Haus?«
    »Ja.«
    »Und er war nicht da?«
    »Keine Spur von ihm, nirgends. Das Bett war noch warm.«
    »Haben Sie sich das ausgedacht?«
    »Nein, jedes Wort ist wahr.«
    »Erwarten Sie, dass ich Ihnen das abnehme?«
    »Nein, eigentlich nicht.«
    »Was war dann der Zweck des Ganzen?«
    »Menschen erzählen Geschichten, und es ist an denen, die zuhören, sie zu glauben oder nicht. Das ist nicht die Aufgabe des Erzählers.«
    »Aber sollte nicht wenigstens
der
seine Geschichte glauben?«
    »Der Erzähler sollte vor allem erzählen«, antwortete Raphie und zwinkerte.
    »Glauben Sie das, was Sie mir erzählt haben?«
    Raphie schaute sich im Raum um, ob nicht womöglich unbemerkt jemand hereingekommen war. Dann zuckte er linkisch die Achseln und drehte den Kopf. »Was für den einen eine Lektion ist, ist für den anderen einfach nur eine Geschichte. Aber oft ist die Geschichte des einen für den anderen eine Lektion.«
    »Was soll denn das nun schon wieder heißen?«
    Raphie wich der Frage aus, indem er einen Schluck Kaffee trank.
    »Sie haben gesagt, die Geschichte könnte eine Lektion sein – aber was soll man daraus lernen?«
    »Wenn ich dir das erklären muss, Junge … « Raphie verdrehte die Augen.
    »Ach, kommen Sie.«
    »Du sollst die Menschen, die du liebst, nicht für selbstverständlich nehmen«, antwortete Raphie, zuerst etwas verlegen. »Du sollst allen besonderen Menschen in deinem Leben mit Respekt, Aufmerksamkeit und Wertschätzung begegnen. Dich auf das konzentrieren, was wirklich wichtig ist.« Er räusperte sich und sah schnell weg, denn Predigen war nicht seine Sache.
    Der Truthahnjunge verdrehte die Augen und tat so, als müsste er gähnen.
    Aber da schob Raphie entschlossen seine Verlegenheit beiseite und gab sich einen letzten Versuch, zu dem Teenager durchzudringen. Obwohl er jetzt eigentlich hätte gemütlich zu Hause sitzen und sich die zweite Portion von {358 } seinem Weihnachtsessen schmecken lassen sollen, statt sich hier von diesem Jungen frustrieren zu lassen.
    Er beugte sich über den Tisch. »Gabe hat Lou ein Geschenk gemacht, ein ganz besonderes Geschenk. Ich mache mir nicht die Mühe, dich zu fragen, was das war, ich erkläre es dir lieber gleich, und du solltest mir gut zuhören, denn wenn ich fertig bin, gehe ich endgültig, und dann bist du allein und kannst in Ruhe über das nachdenken, was du gemacht hast. Und wenn du nicht aufpasst, kehrst du in die Welt zurück als wütender junger Mann und wirst für den Rest
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