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Zeig mir den Tod

Zeig mir den Tod

Titel: Zeig mir den Tod
Autoren: Petra Busch
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völlig andere Sache als der Altersdiabetes. Es ist eine Autoimmunerkrankung. Stoffwechsel. Ziemlich ernste Angelegenheit. Diabetes Typ I.«
    »Und das heißt?«, fragte Josianne.
    »Rebeccas Körper kann kein Insulin bilden. Das aber wird gebraucht, damit die Zellen den Zucker aufnehmen und verarbeiten können. Funktioniert das nicht, so steigt die Zuckerkonzentration im Blut immer weiter an, was unbehandelt auf Dauer zum Tod führt. Mal vereinfacht gesagt.«
    »Scheiße«, murmelte Habermaß und blickte auf den Tisch. »Wie lange haben wir, um sie zu finden?«
    »Rebecca hat eine sogenannte Insulinpumpe«, gab Freitag die Erklärung der Eltern wieder. »Ein Hightech-System, gibt es erst seit kurzem in Deutschland. Besteht aus zwei Teilen. Das eine sieht aus wie ein halbes Ei und wird auf die Haut geklebt, Rebecca trägt das Ding am Bauch. Es ist gleichzeitig Insulinreservoir und Infusionsset. Die Infusionsnadel kommt aus dem Ei und sitzt für mehrere Tage unter der Haut. So muss man nicht mehr alle paar Stunden von Hand spritzen wie früher. Dieses Ei versorgt die Kleine kontinuierlich mit Insulin, und zwar mit einer Basis-Ration. Außerdem muss sie immer dann zusätzlich etwas spritzen, wenn sie isst. Diese Zusatzdosis richtet sich nach dem aktuellen Blutzuckerwert und dem, was sie an Kohlehydraten zu sich nimmt.« Freitag seufzte. »Die Blutzuckerwerte muss sie mehrmals am Tag messen.«
    »Und wie macht sie das?«
    »Das erledigt der zweite Teil der Insulinpumpe. Ein smartphonegroßes Kästchen. Das ist drahtlos mit dem halben Ei verbunden und steuert auch die Medikamentenzufuhr. Du schiebst einfach einen Teststreifen rein, pikst dich, gibst einen Blutstropfen auf den Streifen – und zack, hat das Ding den Blutzuckerwert. Dann tippst du ein, wie viele Broteinheiten du essen willst, und das Ding zeigt dir auf einem Display an, wie viel Insulin du dafür brauchst. Das Ei empfängt diese Daten und spritzt dir die passende Menge, ohne dass du was merkst, weil ja die Kanüle schon sitzt.«
    »Schön und gut, aber dieses Reservoir …«
    »Du sagst es, Josianne.« Ehrlinspiel nickte. »Es reicht maximal vier Tage. Und Rebeccas hätte heute Mittag ausgetauscht werden müssen.«
    Kurz schwiegen alle.
    »Wie lange kann sie ohne Insulin bleiben?« Josianne zog Rebeccas Foto zu sich heran. Das blonde Mädchen schien die besorgte Ermittlerin anzulächeln.
    »Wie gesagt, der Bedarf hängt vom Essen ab.« Ehrlinspiel dachte an Lene Assmann, die sie zur Haustür begleitet und pausenlos gesagt hatte: »Hoffentlich isst sie nur Gemüse und Fett. Hoffentlich ist Marius bei ihr, hoffentlich …« »Rebecca ist nicht gerade zuverlässig im Umgang mit der Krankheit. Sie will wie ihre Freundinnen sein. Sich schminken, Jungs doof finden, über Tiere reden, naschen. Sie isst oft Brot und Süßigkeiten, ohne auf die Gefahr zu achten.«
    »Und dann?«
    »Steigt der Blutzucker. Ohne Insulin wird sie erst müde, kann dann ohnmächtig werden und später in ein sogenanntes diabetisches Koma fallen.« Ehrlinspiel blickte in die Nacht hinaus. »Kurz davor bekommen Diabetiker eine extrem tiefe Atmung mit Acetongeruch. Riecht wie Nagellack. Sie trocknen aus, eventuell versagen die Nieren, dazu kommen Herzrhythmusstörungen, massive Bauchschmerzen … Rebecca ist erkältet. Das ist besonders gefährlich. Infekt plus Diabetes kann offenbar fatale Folgen haben und ein drohendes Koma beschleunigen.«
    »Okay.« Josianne, die dank ihrer neuen Position gute Kontakte zu Gangs, Vereinen und vielen Lehrern besaß, lehnte sich zurück. »In der Schule, die die beiden besuchen, gibt es gewisse Probleme. Aber nichts von Bedeutung. Kleinere Diebstähle, Gras. Marius ist mir auch nicht bekannt. Aber wir sollten morgen sofort mit den Erziehern und Mitschülern sprechen. Herausfinden, wie die Assmann-Kinder in ihren Klassen integriert sind. Moritz, ich schlage vor, wir zwei machen das.«
    »Mhm.«
    »Kinder verschwinden nicht einfach so.« Josiannes Blick ging von Ehrlinspiel zu Freitag zu Habermaß, blieb an jedem kurz haften. »Kinder gehen eher verloren. Den Eltern verloren. Mag sein, dass ein Elternteil schwach ist und das Kind damit nicht zurechtkommt. Dass Vater oder Mutter keine Zeit haben, zu viel unterwegs sind, zu viel arbeiten. Oder zu anders sind als andere Eltern.«
    »Wie die Assmanns.« Ehrlinspiel dachte wieder an sein Bild des unsichtbaren Raumes, den die Angehörigen nicht öffnen wollen. Den Raum, in dem sie ein Geheimnis verbergen. »Der
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