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Zaubersommer in Friday Harbor

Zaubersommer in Friday Harbor

Titel: Zaubersommer in Friday Harbor
Autoren: Lisa Kleypas
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erkennbaren Grund ausgelöscht zu werden. Er wanderte um Sam herum,
musterte ihn, wünschte sich, er könnte irgendwie Kontakt mit ihm aufnehmen, und
fürchtete doch zugleich, er würde ihn damit nur zu Tode erschrecken und
verjagen.
    Im selben
Moment ging Sam weiter, mitten durch ihn hindurch, und blieb am Fenster
stehen. Von dort konnte man die Einfahrt überblicken. Uralte Dreckschichten
bedeckten das Glas und ließen nur gedämpftes Licht in den Raum. Ein Seufzer
kam über Sams Lippen. „Du hast schon sehr, sehr lange gewartet, nicht
wahr?”, fragte er leise.
    Die Frage
erschreckte den Geist, aber als Sam weitersprach, wurde klar, dass er mit dem
Haus redete. „Ich möchte wetten, dass du einen großartigen Anblick geboten
hast, damals, vor etwa hundert Jahren. Es wäre eine Schande, dir keine Chance
zu geben. Aber, verdammt noch mal, dich wieder herzurichten kostet mich ein
Heidengeld, beinahe alles, was ich in mein Weingut stecken kann. Teufel auch,
ich weiß einfach nicht ...”
    Während der
Geist Sam durch die staubigen Zimmer folgte, spürte er, wie das
heruntergekommene Haus dem Mann immer mehr ans Herz wuchs und in ihm der
Wunsch erwachte, es wieder in Ordnung zu bringen und in altem Glanz erstrahlen
zu lassen. Nur ein Idealist oder ein Narr, so versicherte Sam sich selbst,
würde ein solches Projekt in Angriff nehmen. Der Geist gab ihm recht.
    Schließlich
ertönte draußen eine Autohupe. Die Frau war zurück, und Sam ging. Zu gern hätte
der Geist ihn begleitet, aber wie immer, wenn er versuchte, das Haus zu
verlassen, wurde ihm übel, und er begann sich aufzulösen. Also ging er zurück
und beobachtete von einem zerbrochenen Fenster aus, wie Sam die Beifahrertür
des Autos öffnete, einen letzten Blick zurückwarf und das Haus auf sich wirken
ließ.
    In sich
zusammengesunken stand es inmitten von Wiesen, die baufälligen Konturen
weichgezeichnet durch wild wuchernde Büschel von Röhrkohl, Queller und stachligen
Bin sen. In der Ferne verlor sich das Blau der False Bay in der zurückweichenden
Flut, und im fruchtbaren braunen Schlick des Watts glitzerten Gezeitentümpel im
Sonnenlicht.
    Ein kurzes
Nicken, als hätte Sam eine Entscheidung getroffen.
    Und der
Geist machte eine weitere überraschende Entdeckung. Er war in der Lage,
Hoffnung zu empfinden.
    Bevor Sam ein Angebot für das Grundstück
abgab, kam er mit jemandem vorbei, der es sich anschauen sollte, einem Mann
etwa in seinem Alter, um die dreißig oder so. Vielleicht auch ein bisschen
jünger. In seinen Augen lag ein kalter Zynismus, für den er eigentlich bei
Weitem nicht alt genug war.
    Wahrscheinlich
waren sie Brüder. Sie hatten beide das gleiche dichte schwarzbraune Haar, den
breiten Mund, den muskulösen Körperbau. Aber während Sams Augen so blau waren
wie das Meer in den Tropen, wirkten die seines Bruders wie Gletschereis. Sein
Gesicht war ausdruckslos, obwohl tiefe Linien um seinen Mund von Verbitterung
zeugten. War Sam auf eher ungehobelte Weise gutaussehend, so wies dieser Mann
eine geradezu verschwenderische Attraktivität auf mit seinen klar geschnittenen
Gesichtszügen und den vollkommenen Proportionen. Außerdem hatte er
offensichtlich eine Vorliebe für elegante Kleidung, jegliche Art von Luxus,
teure Haarschnitte und noch teurere italienische Schuhe.
    Was
allerdings gar nicht ins Bild passte, waren seine Hände. Sie waren schwielig,
zeugten von harter Arbeit und wirkten sehr geschickt. Der Geist kannte solche
Hände. Vielleicht sahen seine eigenen so aus? Er wusste es nicht. Wenn er an
sich herabsah, sah er – nichts, keine Gestalt, keinen Körper. Sosehr er es
sich auch wünschte, er hatte nicht einmal eine Stimme. Warum nur war er hier,
in Gesellschaft dieser beiden Männer, die er nur beobachten, mit denen er aber
nicht sprechen oder interagieren konnte? Was sollte er lernen?
    Nach nicht
einmal zehn Minuten hatte der Geist begriffen, dass Alex,
wie Sam ihn nannte, verdammt viel über das Bauhandwerk wusste. Zunächst
umrundete er das Haus einmal von außen, registrierte die Risse im Fundament,
die Lücken in den Holzverkleidungen, die durchhängende Vorderveranda mit ihren
morschen Dielen und Tragbalken. Im Haus untersuchte Alex genau die Ecken, die
der Geist ihm gezeigt hätte, um ihm klarzumachen, wie es um das Haus stand:
unebene Fußböden, Türen, die nicht mehr richtig schlossen, Schimmelflecken, die
von undichten Wasser- und Abwasserleitungen zeugten.
    „Der
Sachverständige meinte, die Substanzschäden könne
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