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Zauberschiffe 05 - Die vergessene Stadt

Titel: Zauberschiffe 05 - Die vergessene Stadt
Autoren: Robin Hobb
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sehen, einmal noch. Was für ein Wunder sie ist. Und was für eine Freude.« Er hob den Blick erneut zu der geborstenen Decke. Trotz des Schmutzes und des Schlamms, der sein Gesicht bedeckte, strahlte der Junge.
    Sonne schien in die Kammer. Es wurde heller, aber leider nicht sehr viel wärmer. Reyn wusste nicht mehr, wie es sich anfühlte, trocken zu sein. Hunger und Durst quälten ihn, und es fiel ihm schwer, sich zu bewegen. Aber er lächelte. Selden hatte Recht. Es war ein Wunder. Eine Freude.
    Die Kuppel über der Kammer des Gekrönten Hahns war geborsten wie die Kuppe eines weichgekochten Eis. Er stand auf irgendwelchen Trümmern und blickte auf die schwankenden Wurzeln und den kleinen Ausschnitt des Himmels. Die Drachenkönigin war auf diesem Weg entkommen, aber er zweifelte, dass ihm und Selden das Gleiche gelingen würde. Schlamm füllte die Kammer immer schneller, als der Sumpf jetzt die Stadt in Besitz nahm, die ihm so lange widerstanden hatte. Der kalte Schlamm und das Wasser würden sie unter sich begraben, lange bevor er sich einen Weg ausgedacht hatte, wie sie den Ausgang über sich erreichen konnten.
    Aber so trübe ihre Lage auch war, er musste immer noch bewundernd an die Drachenkönigin denken, die von ihrem jahrhundertelangen Warten erlöst worden war. Die Fresken und Mosaiken seiner Jugend hatten ihn nicht auf die Realität der Drachenkönigin vorbereiten können. Das Wort »blau« bekam beim Anblick ihrer strahlenden Schuppen eine ganz neue Bedeutung. Er würde niemals vergessen, wie ihre schlaffen Flügel Stärke und Farbe angenommen hatten, als sie sie aufgepumpt hatte. Der Reptilgestank ihrer Transformation hing immer noch in der feuchten Luft. Er konnte keinerlei Spuren des Hexenholzstammes sehen, der sie geschützt hatte. Anscheinend hatte sie bei ihrer Verwandlung in einen erwachsenen Drachen den gesamten Stamm absorbiert.
    Aber jetzt war sie fort. Für Reyn und den Jungen blieb das Problem des Überlebens. Die Erdbeben der letzten Nacht hatten die Wände und Decken der versunkenen Stadt endgültig zum Bersten gebracht. Die Sümpfe drangen in die Kammer ein.
    Und der einzige Weg zur Flucht lag weit über ihnen, ein quälend ferner Ausschnitt des blauen Himmels.
    An den Rändern des Kuppelstücks, auf dem Reyn stand, blubberte feuchter Schlamm. Schließlich triumphierte er und sickerte bis zu Reyns nackten Füßen.
    »Reyn.« Seldens Stimme klang heiser vor Durst. Maltas kleiner Bruder hockte auf einer Insel aus Trümmern, die schnell versank. Als die Drachenkönigin verzweifelt versucht hatte, sich aus der Öffnung zu zwängen, hatte sie Schutt, Erde und sogar einen Baum gelöst. Er war in die Kammer gestürzt, und ein Teil davon schwamm auf der steigenden Schlammflut. Der Junge runzelte die Stirn, als seine angeborene Sachlichkeit wieder die Oberhand gewann. »Vielleicht können wir den Baumstamm heben und gegen die Wand stemmen. Wenn wir dann hinaufklettern, könnten wir vielleicht…«
    »Dafür bin ich nicht stark genug«, unterbrach Reyn den optimistischen Plan des Jungen. »Selbst wenn es uns gelänge, den Stamm anzuheben, würde der weiche Schlamm mich nicht genügend tragen. Aber wir könnten vielleicht einige kleinere Zweige abbrechen und eine Art Floß flechten. Wenn wir unser Gewicht über eine genügend große Fläche verteilen, schwimmen wir vielleicht auf dem Schlamm.«
    Selden blickte hoffnungsvoll auf das Loch, durch das Tageslicht fiel. »Glaubst du, dass der Schlamm hoch genug steigt, dass wir hinausklettern könnten?«
    »Vielleicht«, log Reyn inbrünstig. Er vermutete, dass die Schlammflut schon bald aufhören würde zu steigen. Sie würden vermutlich ersticken, wenn der Schlamm sie verschluckte.
    Wenn nicht, würden sie hier verhungern. Das Stück Kuppel unter seinen Füßen sank rasch. Es wurde Zeit, es zu verlassen.
    Er sprang auf einen Haufen Erde und Moos, aber der versank sofort unter seinen Füßen. Der Schlamm war noch weicher, als er vermutet hatte. Er sprang zu dem Baumstamm, erwischte einen seiner Zweige und zog sich daran hoch. Der Schlamm war mittlerweile brusthoch gestiegen und hatte die Konsistenz von Haferschleim. Wenn er weiter versank, würde er in seiner kalten Umklammerung sterben. Aber er war jetzt dichter an Selden herangekommen. Er streckte dem Jungen die Hand hin.
    Selden sprang von seiner sinkenden Insel, aber er sprang zu kurz. Rasch krabbelte er über den Schlamm und erreichte Reyn. Der zog und schob ihn auf den Stamm des herabgestürzten
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