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Zara von Asphodel - Rebellin und Magierin: Roman (German Edition)

Zara von Asphodel - Rebellin und Magierin: Roman (German Edition)

Titel: Zara von Asphodel - Rebellin und Magierin: Roman (German Edition)
Autoren: Ellen Renner
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bewegen. Mein Vater durchforstetmit systematischer Kaltblütigkeit meine Erinnerungen, dann zieht er sich wieder aus meinem Bewusstsein zurück. Ich sinke würgend zu Boden, zittere vor Entsetzen. Ein Magier darf vielleicht den Geist eines Tiers kontrollieren, sogar den des Viehs – Untertanen, die der Magie nicht mächtig sind –, aber er darf niemals in den Geist eines anderen Magiers eindringen. Es ist ein unaussprechliches Verbrechen. Benedict hat das erste Gebot gebrochen.
    Plötzlich ist da eine Bewegung. Ich hebe den Kopf und sehe, wie Swift auf meinen Vater zustürmt. Etwas Silbernes blitzt in ihrer Hand auf und meine Ungläubigkeit verwandelt sich in blankes Entsetzen, als mir klar wird, dass sie ein Messer hält. Jetzt gibt es keine Hoffnung mehr für sie. Benedict muss es im selben Moment gesehen haben, sein Gesicht verzerrt sich in empörter Fassungslosigkeit. Wenigstens diese kleine Genugtuung wird ihr gewährt. Und dann fliegt sie durch die Luft. Das dumpfe Geräusch, mit dem ihr Körper gegen eines der Regale geschleudert wird, ist kaum zu ertragen. Bücher fallen aus den oberen Fächern und prasseln auf sie nieder.
    Ich rapple mich vom Boden auf und stolpere zum Schreibtisch meines Vaters. Er beachtet mich nicht, weil er denkt, dass ich ihm nicht das Geringste anhaben kann. Während er langsam auf Swift zugeht, packe ich den Briefbeschwerer mit beiden Händen. Ich werde ihn damit zerschmettern. Hass steigt in mir auf wie schwarzer, zäher Teer. Das Gewicht der Halbkugel überrascht mich. Ich versuche, den Briefbeschwerer über meinen Kopf zu heben. Da ist wieder dieses Geräusch … ein Sirren.
    »Stell ihn zurück.«
    Swift liegt reglos hinter Benedict am Boden. Er scheint sie vergessen zu haben. Seine Augen, in denen etwas glitzert, das ich in meiner kindlichen Naivität mit Angst verwechsle, folgen der Bewegung des Briefbeschwerers, als ich ihn höher halte. Jetzt endlich habe ich seine volle Aufmerksamkeit.
    Ich knurre wie ein Straßenhund, spüre, wie ich die Zähne fletsche, dann schleudere ich die schwere Halbkugel nach ihm und benutze dabei sowohl meine Arme als auch meinen Geist. »Ich werde dich töten!«
    Ich bin neun. Ich habe gerade erst angefangen zu lernen, Stein zum Schmelzen zu bringen. Dachte ich wirklich, ich könne dem Erzmagier etwas anhaben? Immerhin tue ich ihm weh. Als ich spüre, wie er den Briefbeschwerer meiner Kontrolle entreißt, löse ich einen Glassplitter heraus und lasse ihn durch die Luft fliegen. Ich ziele auf sein Auge, verfehle es aber. Der Splitter bohrt sich in die zarte Haut über seinem Wangenknochen. Blut spritzt aus der Wunde wie Wasser aus einem Springbrunnen, doch Benedict gibt keinen Laut von sich. Er fängt den Briefbeschwerer mit seinem Geist auf, lässt ihn auf seinen Schreibtisch zurückschweben, entfernt den Splitter aus seinem Gesicht und verschmilzt ihn wieder mit dem übrigen Glas, das nun von einem blutigen Schmierfleck verunstaltet wird. Dann tut er mir weh.
    Und wie er mir wehtut. Jeder Muskel in meinem Körper verkrampft sich. Der Schmerz ist unerträglich. Ich winde mich schreiend auf dem Boden. Flehe ihn an, sterben zu dürfen. Ich bin mir sicher, dass er mich töten wird, sehe diesen Ausdruck in seinen Augen … doch dann kräuseln sich seine Lippen, der Schmerz lässt nach und stattdessen ziehen dunkle Nebelschwaden heran, die auf mich zuwabern. Ich kämpfe dagegen an, rufe nach Swift, versuche zu der Stelle zu kriechen, wo sie wie ein totes Ding liegt. Ich sehe ihr Gesicht. Ihre Augen sind geöffnet. Sie blinzelt. Dann packt kalte, feuchte und unerbittliche Dunkelheit nach mir und ich falle.
    Ich bin tagelang bewusstlos. Wie mir erzählt wird, kann ich nicht sprechen, als ich schließlich aufwache. Der Großteil jenes Jahres bleibt dunkel und verloren. Ich versuche nicht, mich zu erinnern.
    Ich habe Swift nie wiedergesehen.

2
    A uch nach dem Ende jenes Lebens von damals bin ich sehr oft in Benedicts Bibliothek gewesen – nächtliche Auflüge, bei denen mein einziger Begleiter der Geist von Swift ist, die mich zu den Büchern führt, die ich an ihrer Stelle lesen soll. Zweimal im Jahr muss ich es ertragen, in Gegenwart meines Vaters in diesem Raum zu sein. Dann stehe ich vor seinem Schreibtisch, auf dessen polierter Oberfläche die Zeugnisse meiner Tutoren ausgebreitet sind, und während er meine Verfehlungen als Tochter und Magierin aufzählt, schaue ich auf den Briefbeschwerer … und erinnere mich.
    Magier stellen nichts her.
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