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Zander, Judith

Zander, Judith

Titel: Zander, Judith
Autoren: die wir heute saagten Dinnge
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würde, dieser frivolen Verschämtheit, von wegen, so
was könne man als Frau ja nicht sagen. Als Frau! Oh Mann. Ich gönne mir noch
einen. »Noch jemand?«, frage ich, die Flasche schwenkend. Sie winken beide ab,
Spielverderber. Dann eben nicht. »Prost!«, rufe ich und trinke, trinke auf
Pauls McCartney-Schönheit, auf Ellas Mut, auf alles, was mir jetzt nicht
einfällt, und den Pickel an meinem Kinn und Bresekow, was weiß ich. Wenn alles
literaturfähig ist, dann ist erst recht alles trinkfähig, oder? Ist das
logisch? Wahrscheinlich ist nicht alles logikfähig, wahrscheinlich gar nichts.
Immer alles oder nichts, ja ja. Früher war das Schlimmste, bei M ensch-ärger-dich-nicht knapp zu
verlieren, knapp zu gewinnen das Beste. Ich mochte das nicht, wenn ich alle
vier im Haus hatte und der andere erst einen, es befleckte meinen Sieg
irgendwie, mit Mitleid. Andererseits, wenn ich merkte, dass ich am Verlieren
war, gab ich mir gar keine Mühe mehr, ich hab nie wirklich gekämpft, im
Gegenteil, extra schlecht gespielt, und die Kunst war, es den andern nicht
merken zu lassen; die Resignation war mir immer näher, die vollkommene
Niederlage, das Selbstmitleid. Ich weiß, ich muss irgendwann aufhören damit. Wenn
ich erwachsen sein will. Oder falls. Ich hab auch nie gerne mit reparierten
Sachen gespielt, das heißt zuerst, wenn sie frisch geflickt, wiederhergestellt
waren, der Kopf wieder auf dem Puppenhals; ich wusste, da war ein irreparabler
Makel, es würde nie mehr so wie vorher sein, und ich heulte vor Widerwillen,
und heulte ja über nichts anderes als das Vergehen der Zeit, die unweigerliche
Abnutzung. Dann aber, wenn Mama sie mir wegnehmen wollte, genauso empfand ich
das nämlich, um sie »anderen Kindern« zukommen zu lassen, weckte das eine Panik
und Wut in mir, die dazu führte, dass ich die alten Puppen, die lädierten
Plüschtiere um keinen Preis mehr hergeben wollte und sie nur umso fester ins
Herz schloss und das Versprechen auf neue als völlig inakzeptabel ablehnte. Vor
allem, welche anderen Kinder denn! Es gab doch nur mich. Ich kann nicht sagen,
dass diese Gefühle inzwischen nachgelassen hätten. Ich kann sie inzwischen nur
benennen. Ich weiß, dass man nicht ewig und drei Tage an was hängen kann. Aber ich weiß
auch, dass man nicht an nichts hängen kann, und außerdem glaube ich
grundsätzlich nicht an Ersatz, schon das Wort! Schöne Scheiße. Muss mal mit
Ella darüber reden, vielleicht...
    Mitten in meine erbärmlichen,
aber in Anbetracht meines Zustandes - oder nur betrachtet in meinem Zustand? -
doch recht schlüssigen Überlegungen sägt die Stimme von Ellas Mutter: »Kommt ma
bitte zum Schluss!«
    Zum Schluss? Das Wort gehört
abgeschafft. »Abgeschafft!«, sage ich laut. Paul sagt: »Komm, ich bring dich
nach Hause.«
    Was soll das? Woher dieses
Einverständnis, diese geschmacksneutrale Einsicht in die Notwendigkeit, als ob
wir jetzt wirklich zu Bett gehen könnten und schlafen. Und morgen früh
aufwachen und sich wie gehirngewaschen nicht an den Traum erinnern. Und warum bin
ich es jetzt wieder, die das sagen, die den Knoten ins Taschentuch machen muss?
»Was ist mit den Adressen?«
    »Achso«, sagt Ella und guckt
unschlüssig von mir zu Paul und zurück, bevor sie sich hochbequemt und Papier
und Stift holt. Wie ich Ella so mit links schreiben sehe und dann Paul mit
rechts, kommt mir das wie eine infame Vertauschung vor, eine Verschwörung fast.
Er reißt einen breiten Streifen ab und den noch mal in der Mitte durch, die
eine Hälfte gibt er mir, die andere Ella. Natürlich steht auf ihrem Zettel das
Gleiche wie auf meinem, aber für einen blöden Moment habe ich die Idee, Paul
könnte einer von uns eine falsche Adresse gegeben haben. Two of us sending
postcards, writing letters . Oder beiden. Sowie ich ihm meinen Schnipsel reiche,
bin ich sicher, dass ich mich verschrieben habe, meine alte Anklamer Adresse
hingeschludert oder irgendwas. Aber ich bin stark, ich überlasse es dem
Schicksal, zur Not Ella.
    Als Paul sie jetzt umarmt,
zwei Minuten bestimmt, will ich ihr wieder gar nichts überlassen, bis mir
einfällt, dass das für mich ja erst noch kommt, und sofort bin ich bereit, sie
zu bedauern, wie früher kurz vor meinem Geburtstag meine Freundinnen, die schon
Geburtstag gehabt hatten. Ich sehnte ihn ja immer herbei, aber kurz vorher fing
eine Gegenkraft in mir an zu walten, eine angstgeborene Verzögerungslust, er
sollte kommen, dieser Tag, und sollte nicht kommen, denn gekommen war so
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