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Zander, Judith

Zander, Judith

Titel: Zander, Judith
Autoren: die wir heute saagten Dinnge
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gar
nicht lachen mit dem Bauch. Wie die das mitkriegte, ist sie aus ihrem Bett raus
und zu mir hin und hat mir einfach den Schlauch rausgerissen und dann erst
geklingelt. Und da hat sie noch Meeker für gekriegt. Dass sie mir das Leben
gerettet hat. Aber seltsamerweise dacht ich auch nie, dass ich jetzt wirklich
sterben müsste, ich war ja noch so jung, ich könnt mir das nicht vorstellen,
auch wenn mir das manchmal am liebsten gewesen war, Schluss mit der Quälerei.
Verdacht auf Darmkrebs. Sie haben nix gemacht. Meine Eltern und Friedhelm
wollten eine Verlegung nach Greifswald in die Uniklinik, ich glaub, die hatten
mehr Angst als ich. Die Ärzte wollten nicht, wer weiß weshalb. Ich wog noch
sechsunddreißig Kilo. Sie haben diskutiert. Ich weiß nicht, ob das Absicht
war, aber die Tür zu meinem Krankenzimmer stand auf, im Zimmer gegenüber saßen
sie. Ich hab deutlich ihre Stimmen über den Flur gehört, die Stimme von Doktor
Krafczyk, ich hab gehört, wie er gesagt hat, »ich mach sie auf«. Anscheinend
waren nicht alle dafür. Keiner hat gerne nen Toten aufm OP-Tisch am Ende.
Doktor Krafczyk sagte, »wir operieren, Frau Plötz«. Alle Ärzte würden dabei
sein. Er hat mich noch mal untersucht, ich kam kaum noch auf den Stuhl. Als er
fragte: »Wie viele Kinder haben Sie?«, wars aus. Ich kriegte nen Weinkrampf.
Das war genau an Romys erstem Geburtstag.
    Meine Mudder musste
unterschreiben, Friedhelm, glaub ich, auch. Sie haben mir ein OP-Hemd
angezogen, hinten offen, man kommt sich damit nackter vor, als war man wirklich
nackt. Das letzte Hemd, wie man immer so sagt, das fällt mir erst jetzt auf,
das hab ich da nicht gedacht. Nur immer wieder: Du kannst nix machen. Sie haben
mich dann auf den schmalen OP-Tisch gehoben, ich war ja leicht. So legen sie
dich auch mal in den Sarg, das Gefühl hatte ich. Wenn man gar nix mehr machen
kann. Die Narkose war einfach nur entsetzlich. Ich spürte genau den Tubus in
meinem Hals, ich wusste, dass irgendwas nicht stimmt, ich hatte furchtbare
Angst, sie würden anfangen, mich zu operieren, ohne dass ich betäubt war, ich
wollt schreien, aber ich könnt ja nicht. Dann gab es richtig so was wien
Schlag, ne Erschütterung durch meinen ganzen Körper, mir war, als Würden mir
Arme und Beine ausgerissen. Ein Arzt, dem ich später mal davon erzählt hab,
hat mich ganz starr angeguckt und dann den Kopf geschüttelt: »Frau Plötz, das
hätten Sie nie erleben dürfen.« Mir kam das auch teilweise nicht so vor: dass
ich das bin, dass mir das alles passiert.
    Als ich aufgewacht bin, wusst
ich nicht, was los ist. Ich musste sofort kotzen. Dann merkte ich meinen
Bauch, den großen Schnitt, einmal quer rüber. Ich traute mich nicht
hinzugucken. Doktor Krafczyk wirkte erleichtert. Er sagte, sie hätten erst gar
nichts gesehen, vor lauter Eiter. Alles verklebt. Dann hätten sie endlich die
Ursache gefunden. Normalerweise war ich tot gewesen, mit einem geplatzten
Blinddarm. Aber irgendwas hatte sich abgekapselt, der Eiter war nicht in die
Blutbahn gelangt, hatte mich nicht vergiftet. Ich hab das nie genau kapiert, es
war mir auch egal, zu dem Zeitpunkt war mir alles so egal, ich lag da mit
meinem zugenähten Bauch voller Schmerzen und wollt keinen sehen, nicht mal
Friedhelm, ich wollt nicht, dass er mich so sehen muss. Ich wollte Romy sehen,
mein Kind, und das ging nicht. Es ging überhaupt nix. Ich könnt nicht gehen,
ich kam überhaupt nicht hoch, ich durfte auch nicht. Ich könnt nicht essen,
aber ich musste. Mein Körper vertrug die künstlichen Fäden nicht, es heilte
nicht, ich kriegte Fieber. Sie haben die Fäden wieder rausgezogen. Ich lag da
mit einem offenen Bauch. Sie haben mir Mull, Drainagestreifen in die Wunde
gestopft. Jeden Morgen neue. Jeden Morgen mussten sie die alten rausziehen, und
die klebten. Ich konnte mir ein Leben ohne Schmerzen gar nicht mehr vorstellen,
ein normales Leben wie vorher, das kam mir wie das Paradies vor. Ich dachte,
das ist für immer vorbei. Nach diesen drei Monaten wusst ich ja kaum noch, dass
es so was wie draußen, die Welt da draußen, Jahreszeiten und so, dass es das
alles gibt, für mich gabs das nicht mehr. Ich war nur noch ein Strich, ich
hatte nie gute Werte, ich hatte ganz verknorpelte Venen, am Ende haben sie mich
in den Fuß gestochen. Ich dacht, sie entlassen mich nie. Aber mitten im Winter
kam ich raus. Die Sonne schien, und es lag ein ganz klein wenig Schnee. Die
paar Schritte zum Taxi ging ich wie auf Eiern, auf Friedhelm gestützt. Zu
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