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Zander, Judith

Zander, Judith

Titel: Zander, Judith
Autoren: die wir heute saagten Dinnge
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gut
wie vorbei, und am Abend dieses Tages, wenn alle weg waren und ich schließlich
doch ins Bett musste, passierte es nicht selten, dass ich weinte.
    »Bis zum Bus«, sage ich zu
Ella an der Tür, fast hätte ich sie auch umarmt.
    »Fünf Stunden«, sagt sie leise
und halb in den Wind, als sollte nur einer von uns es hören. Oder keiner.
    Paul kommt mir viel zu
nüchtern vor. Ich habe mich wie selbstverständlich bei ihm eingehakt, und
immerzu denke ich nur, das ist das letzte Mal, das letzte, kapierst dus nicht,
du musst doch was sagen, bloß was, doch nicht das, gibts denn nichts anderes,
Wind und Wetter, kennst du den schon? Alles weg, jetzt schon. Ich gehe, tapse
vor mich hin in diese mondlose Nacht, als gäbe es immer nur den Fleck, auf den
wir gerade unsere Füße setzen, jeder Schritt ein ungeheurer Vertrauensvorschuss
auf die Materialisierung des nächsten Flecks, wie es mich erschöpft. Das elende
Hoffen und das
langweilige Erscheinen, es geht einfach immer weiter. Ich will das nicht. Das
Hinwegkommen über jeden Fleck. »Bleib doch hier«, sage ich müde und mache die
Augen zu. Ich lasse mich von Paul führen bis vor meine Haustür. Jemanden führen
ist eben was anderes als jemanden entführen, sagt mein Schnapskopf. Was
anderes.
    Dann stehen wir uns gegenüber
in dem dünnen Türlicht, der Wind bläht meine Jacke auf, als wolle er den
Abstand zwischen uns verringern, sollte ich doch noch einen Verbündeten haben
in dieser Nacht, er zerbläst Paul die dunklen Strähnen, dass ich seine weiße
Stirn sehen kann, ebony and ivory , ich weiß plötzlich, dass es
dieses Bild ist, das wieder und wieder in mir aufsteigen wird. Ich will ihn
schon umarmen, als er sagt: »Ein Moment«, und mit zwei Fingern etwas aus seiner
Innentasche hervorzieht, »voilä!«.
    Wie könnte ich kein
Spiegelbild dieses Lächelns sein. »Oh, ich glaub, ich hab genug für heute
Abend«, murmele ich.
    »Aber ich nicht«, sagt Paul,
gibt mir den Joint, fördert tatsächlich Streichhölzer zutage und zündet eins
an, es geht aus, auch das zweite, der Wind ist mein Verzögerungskomplize, bei
dem Wort bricht plötzlich etwas in mir auf, dieses seltsame Lied, ein Schlager,
oder, verdammt, wie war das noch, du bist mein, nein, ich bin
dein ,
nein, nicht das mit dem slüzzelin , aber ein Schlüssel zu meiner
Kindheit, oh Mann, wie mir immer dabei wurde, ein dunkles Zimmer, ich kann mich
nur an ein dunkles Zimmer erinnern, nur ein schwaches Licht nebenan von der Küche
und die erleuchtete UKW-Skala des Radios, ich verstand nichts und verstand
alles, wie habe ich dieses verschlüsselte Lied geliebt, wie sonst nichts vor
und nach den Beatles, wie konnte ich es so lange vergessen und nicht vermissen,
scheiße, wie ging das noch, irgendwas mit, ja: wir sind
beide bereit .
Wahrscheinlich totaler Schnulzenschwachsinn, aber die Melodie, ich hab sie
jetzt. Nanana nana nana na, nana nana nana na, nana-naana nana. So nah am F euer ? Mir wird erst jetzt bewusst,
dass Paul mir schon die ganze Zeit das ich weiß nicht wievielte Streichholz vor
die Nase hält, geschützt von seiner hohlen Hand, die Flamme hat fast seine
Finger erreicht, aber er bläst sie nicht aus. Ich stecke mir schnell die Tüte
in den Mund, neige meinen Kopf. Er sagt nichts, es ist wie ein Ritual, aber wie
eins, das man zum ersten Mal ausführt, wenn alles gerade erst anfängt. Eine
Vorzeit, die noch nicht dunkel ist. Hah! Ich habs! I ch bin dein
dunkler C herubim, du die S phinx im
schwarzen K leid. Ich lache den Rauch aus. Paul
guckt mich neugierig an. Ich kann ihm nichts erklären.
    YOU and me burning
matches,
    lifting latches.
    Wir setzen uns auf die
Steintreppe, ich gebe ihm die verderbliche Marihuanazigarette, wenn meine Eltern
das jetzt sehen, denke ich kurz, sie schlafen keine zehn Meter entfernt. Würden
sie wahrscheinlich gar nichts merken, würden sie nur sagen, du holst dir noch
Hämorrhoiden davon! Ich muss wieder lachen, Paul auch, ich winke ab, aber wir
kichern noch ein bisschen vor uns hin. Nach Lachen kommt Weinen, klar. Aber
morgen. Morgen wein ich, heute rauch ich, übermorgen hol ich mir eine letale
Lungenentzündung, und von mir aus auch Hämorrhoiden gleich dazu, kommt dann ja
nicht mehr drauf an. Shit happens.
    Mein Magen rebelliert, und mir
ist ein bisschen schwindlig, es tut gut. Am liebsten würde ich mich hinlegen,
gleich hier auf die kalten Steine, zwischen die wirbelnden Blätter, die ganze
Nacht, wäre sicher förderlich. Pauls linke Seite wärmt schon die
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