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Zaertliche Brandung - Roman

Zaertliche Brandung - Roman

Titel: Zaertliche Brandung - Roman
Autoren: Janet Chapman
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Morbidität schwand wie durch Zauberhand aus dem Lift. Jeder Muskel in Sams Körper reagierte unwillkürlich auf das simple, angenehme Geräusch ihres leisen Lachens.
    »Sie glauben wohl, mit Lifts stehe ich auf Kriegsfuß? «, sagte sie mit schiefem Lächeln.
    »Sie sollten mich auf einer Rolltreppe sehen.«
    Teufel noch mal. Eine Wachtel mit dem Lachen eines Engels.
    Wenn Abram Sinclair eine Schwäche hatte, dann waren es die Frauen. Üppige Formen, Humor und Wärme waren die Qualitäten, die den Alten vor allem anzogen. Kein Wunder, dass er seinen Enkelsöhnen stets
eingeschärft hatte, dass Herkunft, Schönheit und Bankkonten keine nennenswerte Rolle spielten. Volle Brüste und ein ebensolches Hinterteil, an das ein Mann sich halten konnte, waren die Attribute, auf die es ankam.
    Was Willamina Kents Erscheinen erklärte.
    Sam begleitete sie schweigend zu der unterirdischen Garage, in der Ronald wartete. Nachdem er seinem Fahrer Anweisung gegeben hatte, sie zum Marriott zu bringen, fuhren sie schweigend durch Manhattan. Willamina drückte die Nase an die Scheibe und verbrachte die Fahrt damit, die Stadt an sich vorüberziehen zu lassen.
    Sam verbrachte die Zeit damit, sie zu beobachten.
    Ihre Bluse war wieder herausgerutscht. Und das Kostüm, das aussah wie aus den späten Siebzigern, war irreparabel zerknittert. Die schwere Tasche zu ihren Füßen war umgefallen, die Hälfte des Inhalts herausgerutscht.
    Sam stieß einen stillen Seufzer aus. Er wurde aus ihr nicht klug. Trotz der augenscheinlichen Arglosigkeit Miss Kents hatte er während der Sitzung in ihren Augen wache Intelligenz gesehen.
    Ein weniger scharfsinniger Mensch hätte nur ihre äußere Erscheinung gesehen, Bram aber versuchte immer, hinter die Maske zu sehen, die jemand trug, so wie er immer versuchte, über den Horizont des Ozeans hinauszublicken.
    Sam spürte, dass er das Talent seines Großvaters mitbekommen hatte, und deshalb hätte er gewettet, dass in
Willamina Kent mehr steckte, als auf den ersten Blick zu sehen war. Abram Sinclair hätte das Schicksal von Tidewater – oder das seiner Enkelsöhne – niemals in die Hände einer dummen Gans gelegt.
    War sie nur die Figur eines letzten schrulligen Schachzuges, den ein alter Mann sich vor seinem Tod leistete? Es hätte durchaus auf Brams Linie gelegen, seine Familie oder sein Unternehmen gehörig durcheinanderzuwirbeln, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen, und das bedeutete, dass der alte Fuchs ein höheres Ziel im Auge hatte, als er auf die Idee kam, sie nach New York zu schicken.
    Eine Heirat vermutlich. Es war Bram zuzutrauen, dass er sich selbst in Willamina verliebt hatte. Und wer eignete sich daher besser als Ehefrau für seine Enkel? Willamina schien eine mitfühlende Person zu sein, wenn man hinter ihren grotesken Aufzug und ihr Auftreten blickte.
    Obwohl ihr Beruf … unheimlich war.
    Verdammt noch mal … aber irgendjemand musste ja Särge tischlern.
    Aber Bram hatte seinen eigenen Sarg gemacht. Sam konnte dieses makabre Bild nicht abschütteln.
    »Brauchen Sie Hilfe beim Einchecken?«, fragte er, als sie vor dem Marriott vorfuhren.
    »Nein, danke. Ich komme allein zurecht.« Sie blickte mit gerunzelter Stirn auf ihre Tasche hinunter und schob alles hinein, was herausgerutscht war.

    »Werden wir uns heute alle zum Dinner treffen?«
    »Wir holen sie um sieben ab«, sagte Sam. Er stieg hinter ihr aus und beobachtete mit spöttischer Belustigung, wie Ronald ihr ramponiertes Gepäck, das eine mitleidige Seele mit einem Klebeband gesichert hatte, dem Träger übergab. Seine erstklassige Ausbildung war Gewähr dafür, dass er es in Empfang nahm, ohne auch nur mit einer Wimper zu zucken.
    Sobald Miss Kent sich auf sicherem Weg ins Hotel befand, stieg Sam wieder ein und ließ sich ins Büro fahren. Vielleicht glückte es ihm, doch noch etwas von diesem höllischen Tag zu retten – und im Internet nach einer Sargfabrik in Maine zu suchen.
    Als die Lifttüren sich in der Garage schlossen, sah Sam ein Stückchen Stoff im Öffnungsspalt. Er stemmte sich gegen die Türen, um sie wieder zu öffnen, bückte sich und rettete etwas, das sich als changierend-fliederfarbiges Höschen entpuppte.
    Etwas größer, als er es gewohnt war.
    Mit einem erwartungsvollen Lächeln, das dem bevorstehenden Abend galt, steckte er es in die Tasche. An der kleinen Wachtel war also nicht alles braun.

2
    W illa ließ ihre ruinierte Reisetasche auf den Boden des Hotelzimmers fallen und sah zu, wie diese sich öffnete
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