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Zähl nicht die Stunden

Titel: Zähl nicht die Stunden
Autoren: Joy Fielding
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gut
    aussehenden Mann mit den langen Wimpern und dem sinnlichen Mund
    hatte verführen lassen, stellte sie fest, dass sie schwanger war –
    ausgerechnet an dem Tag, an dem er erklärte, ihm gehe das alles zu
    schnell, sie müssten ein wenig bremsen, eine Pause einlegen, sich
    wenigstens vorübergehend trennen. »Ich bin schwanger«, sagte sie wie betäubt, unfähig, dem noch irgendetwas hinzuzufügen.
    Sie redeten über Abtreibung, sie redeten über Adoption; am Ende
    hörten sie auf zu reden und heirateten. Oder genauer, sie heirateten und hörten auf zu reden, sagte sich Mattie jetzt, als sie aus dem Wasser stieg und leicht fröstelnd in der frischen Herbstluft nach dem großen
    magentafarbenen Badetuch griff, das ordentlich gefaltet auf dem mit weißem Leinen bezogenen Liegestuhl lag. Mit einem Zipfel des
    Badetuchs frottierte sie ihre Haarspitzen, den Rest wickelte sie fest wie eine Zwangsjacke um ihren Körper. Jake hatte nie heiraten wollen, das wusste sie jetzt – wie sie es damals schon gewusst hatte, obwohl sie beide, zumindest zu Beginn, so getan hatten, als wäre diese Heirat
    unvermeidlich gewesen; als wäre ihm nach einer kurzen Trennung
    unweigerlich klar geworden, wie sehr er sie liebte, sodass er zwangsläufig zu ihr zurückgekehrt wäre.
    Aber er liebte sie gar nicht. Er hatte sie damals nicht geliebt. Und er liebte sie jetzt nicht.
    Und Mattie selbst war sich, wenn sie ehrlich war, nie sicher gewesen, ob sie ihn wirklich liebte.
    Sie hatte sich zu ihm hingezogen gefühlt, keine Frage. Sie war wie
    gebannt gewesen von seinem blendenden Aussehen und seinem
    mühelosen Charme. Aber sie wusste nicht, ob sie ihn je wirklich geliebt hatte. Sie hatte nicht die Zeit gehabt, es herauszufinden. Alles war viel zu schnell gegangen. Und plötzlich war keine Zeit mehr geblieben. Mattie knotete das Badetuch über ihrer Brust und lief die kurze Holztreppe zur Terrasse hinauf. Sie zog die Schiebetür zur Küche auf und trat ein.
    Wasser tropfte von ihrem Körper auf den dunkelblauen Fliesenboden.
    Normalerweise bekam sie sofort gute Laune, wenn sie diesen Raum
    betrat. Er war ganz in Blau- und sonnigen Gelbtönen gehalten, mit viel rostfreiem Stahl und einem runden Tisch mit einer Steinplatte, um den vier Stühle aus Schmiedeeisen und Rattan gruppiert waren. Von genau so einer Küche hatte Mattie geträumt, seit sie in einer
    Einrichtungszeitschrift eine Bilderserie über provenzalische Küchen
    gesehen hatte. Sie hatte die Renovierung ihrer Küche im letzten Jahr, auf den Tag vier Jahre nach ihrem Umzug in das Sechs-Zimmer-Haus am
    Walnut Drive, persönlich überwacht. Jake war gegen die Renovierung
    gewesen, genau wie er gegen den Umzug an den Stadtrand gewesen war,
    auch wenn man von Evanston bis zum Zentrum von Chicago mit dem
    Auto nur eine Viertelstunde brauchte. Er hatte in der Wohnung am Lake Shore Drive bleiben wollen, obwohl er Mattie in allen Punkten, dass es draußen am Stadtrand weniger Verbrechen gebe, bessere Schulen und
    mehr freie Natur, Recht geben musste. Er behauptete, er sei aus
    Gründen der Bequemlichkeit gegen den Umzug, aber Mattie wusste, dass Angst vor Verbindlichkeit dahinter steckte. Ein Haus am Stadtrand, das war zu viel der Etabliertheit für einen Mann, der immer einen Fuß aus der Tür hatte. »Aber für Kim ist es besser«, hatte Mattie vorgebracht, und da hatte Jake endlich nachgegeben. Für Kim tat er alles. Nur
    ihretwegen hatte er ja Mattie überhaupt geheiratet.
    Den ersten Seitensprung hatte er sich kurz nach ihrem zweiten
    Hochzeitstag geleistet. Sie war auf das belastende Material gestoßen, als sie die Taschen seiner Jeans, die sie in die Waschmaschine stecken
    wollte, geleert hatte: mehrere kleine Liebesbriefchen, mit Herzchen statt Punkten auf den I’s. Sie hatte sie zerrissen und in der Toilette
    hinuntergespült, aber die blassblauen Papierfetzen waren immer wieder nach oben gestiegen, so als weigerten sie sich, auf so einfache Art und Weise zu verschwinden. Es war ein Omen gewesen, sagte sie sich jetzt, aber damals war ihr die Symbolik nicht aufgefallen. Im Lauf der beinahe sechzehn Jahre ihrer Ehe hatte es solche Geschichten immer wieder
    gegeben: Liebesbriefe von anderen Frauen, achtlos liegen gelassene
    Zettel mit fremden Telefonnummern, telefonische Nachrichten von
    Frauen, die ihren Namen nicht hinterließen; dazu das gar nicht so
    zurückhaltende Getuschel ihrer Freunde. Und jetzt also diese letzte kleine Überraschung, eine Rechnung für ein Zimmer im
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