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Zähl nicht die Stunden

Titel: Zähl nicht die Stunden
Autoren: Joy Fielding
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seltsame Mischung diverser Stile, die nicht miteinander verschmolzen. Doch der Gegenstand des
    Gemäldes war unverkennbar.
    »Das ist Mattie« , sagte Jake, stand auf, lehnte das Bild an den Couchtisch in der Mitte des Zimmers und betrachtete es eingehender.
    »Das ist Mama?«
    »Als sie ungefähr vier oder fünf war.« Viv räusperte sich. »Ihr Vater hat es gemalt.«
    Kim und Jake sahen Viv erwartungsvoll an.
    Sie räusperte sich erneut. »Ich muss es auf den Boden gestellt haben, als er uns verlassen hat. Ich hatte es vollkommen vergessen. Aber aus irgendeinem Grund habe ich daran gedacht, als ich heute Morgen
    aufgewacht bin. Ich hatte wohl einen Traum.« Ihre Stimme verlor sich.
    »Wie dem auch sei«, setzte sie neu an, »ich bin auf den Speicher
    gestiegen, was kein leichtes Unterfangen war, das kann ich euch sagen.
    Ich habe ein wenig herumgekramt, und da stand es, noch immer in
    ziemlich gutem Zustand und viel besser, als ich es in Erinnerung hatte.
    Jedenfalls dachte ich, dass ihr es vielleicht haben wollt.«
    Jake strich einige unsichtbare Strähnen aus der Stirn des Kindes.
    Mattie war ein so schönes kleines Mädchen gewesen , dachte er. Und mit dem Alter war sie nur noch schöner geworden. »Danke« , sagte er.
    »Danke , Grandma.« Kim stand auf und kuschelte sich neben ihre Großmutter auf das Sofa.
    »Ich habe nie verstanden , wie er einfach so gehen konnte«, sagte Viv zu niemand Bestimmten. »Wie konnte er einer solchen Tochter einfach
    den Rücken kehren. Sie hatten sich immer so nahe gestanden.« Sie
    schüttelte den Kopf. »Früher war ich eifersüchtig auf ihre Nähe. Ich habe gedacht, warum heißt es immer, Mattie dies, Daddy das? Warum
    geht es nie um mich? Dumm«, fuhr sie fort , bevor irgendjemand sie unterbrechen konnte. »Dumm , einen Groll gegen sein eigen Fleisch und Blut zu hegen und einem Kind den Rücken zukehren , das einen braucht.«
    »Du hast ihr nicht den Rücken zugekehrt« , sagte Kim.
    »Doch das habe ich. All die Jahre , in denen sie aufgewachsen ist –«
    »Du warst für sie da , als sie dich am dringendsten gebraucht hat. Du hast dein Versprechen gehalten«, flüsterte Kim, während Matties Mutter die Hand vor den Mund legte und ein Schluchzen zu unterdrücken
    versuchte. »Du hast ihr nicht den Rücken gekehrt.«
    Jake spürte, wie es ihm kalt den Rücken hinunterlief , als er das Gespräch zwischen Kim und ihrer Großmutter verfolgte, das bestätigte, was er die ganze Zeit vermutet hatte. Er schloss die Augen und atmete tief ein. Dann ließ auch er sich auf das Sofa fallen und nahm beide Frauen in den Arm.
    So wiegten sie sich etliche Minuten schweigend hin und her, während
    der Hund auf der Suche nach einem bequemen Fleckchen zum
    Zusammenrollen rastlos von einem Schoß zum anderen hüpfte. »Was
    sollen wir bloß ohne sie machen?«, fragte Matties Mutter.
    Jake wusste, dass die Frage rhetorisch war, doch er beantwortete sie trotzdem. »Ich weiß nicht genau«, sagte er. »Weitermachen, nehme ich an. Uns umeinander kümmern, wie Mattie es gewollt hat.«
    »Glaubst du, dass wir je wieder glücklich sein werden?«, fragte Kim.
    »Eines Tages bestimmt«, erklärte Jake ihr, küsste sie auf die Stirn, betrachtete das an den Couchtisch gelehnte Gemälde und sah das
    Lächeln der erwachsenen Mattie durch die Miene des schüchternen
    kleinen Mädchens schimmern. »Und bis dahin«, sagte er leise, »müssen wir einfach so tun als ob.«
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