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Zähl nicht die Stunden

Titel: Zähl nicht die Stunden
Autoren: Joy Fielding
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Ritz-Carlton,
    ausgestellt vor mehreren Monaten, etwa um die Zeit, als sie an ein
    zweites Kind gedacht und versucht hatte, mit Jake darüber zu sprechen.
    Warum musste er jedes Mal so indiskret sein? Brauchte er ihr Wissen
    von seinen Affären zur Selbstbestätigung? Galten ihm seine
    Eroberungen irgendwie weniger, wenn sie nicht von ihnen erfuhr, auch wenn sie sich bis heute geweigert hatte, sie zur Kenntnis zu nehmen?
    Bezweckte er vielleicht genau das mit seiner Nachlässigkeit: sie zur Kenntnisnahme zu zwingen? Weil ihm klar war, dass es das Ende ihrer
    Ehe bedeuten würde, wenn ihm das gelang und sie sich dazu verleiten ließ, eine Aussprache herbeizuführen? War es das, was er wollte?
    Und sie? Wollte sie es?
    Vielleicht war sie diese Ehe, die doch nur eine Farce war, ebenso leid wie ihr unwilliger Ehemann. »Vielleicht«, sagte sie laut und starrte ihr Spiegelbild in der dunkel getönten Glastür des Mikrowellenherds an. Sie war nicht unattraktiv – groß, blond, blauäugig, ganz dem gängigen Bild der frischen jungen Amerikanerin entsprechend – und sie war erst
    sechsunddreißig Jahre alt, noch lange nicht reif also, zum alten Eisen geworfen zu werden. Es gab noch genug Männer, die sie begehrenswert
    fanden. »Ich könnte mir einen Liebhaber suchen«, flüsterte sie.
    Ihr Spiegelbild fixierte sie ungläubig und voller Spott. Das hast du doch schon mal versucht, weißt du noch?
    Mattie wandte sich ab. »Ja, aber doch nur das eine Mal und nur um
    mich zu rächen.«
    Ach, und jetzt willst du den nächsten Racheakt abziehen?
    Mattie schüttelte den Kopf, dass ihr die Wassertröpfchen aus den
    Haaren flogen. Die Affäre, wenn man einen One-Night-Stand überhaupt so nennen konnte, hatte sie sich kurz vor dem Umzug nach Evanston
    erlaubt. Die Geschichte war kurz und heftig gewesen, nicht der
    Erinnerung wert. Trotzdem konnte sie sie nicht vergessen, obwohl ihr vom Gesicht des Mannes kaum ein Eindruck geblieben war, weil sie die ganze Zeit beharrlich vermieden hatte, ihn anzusehen.
    Er war Anwalt wie ihr Mann, allerdings bei einer anderen Sozietät und in einem anderen Fachgebiet tätig. Fachanwalt fürs Schaugeschäft, hatte er scherzend gesagt und ihr erzählt, dass er verheiratet sei und drei Kinder habe. Seine Firma hatte sie beauftragt, Kunstgegenstände zur
    Dekoration der Kanzleiräume zu erwerben, und er versuchte, ihr zu
    erklären, was seinen Partnern vorschwebte, bevor er näher rückte und ihr erklärte, was ihm vorschwebte. Statt mit Zorn und Empörung zu
    reagieren wie am Morgen desselben Tages, als sie mit angehört hatte, wie ihr Mann am Telefon mit seiner neuesten Geliebten Pläne zum
    Abendessen machte, verabredete sie sich mit ihm. Ein paar Tage später, während ihr Mann mit einer anderen Frau im Bett war, lag sie mit einem anderen Mann im Bett und überlegte voller bitterer Ironie, ob sie wohl gleichzeitig zum Höhepunkt gekommen waren.
    Sie sah den Mann nie wieder, obwohl er mehrmals anrief, vorgeblich
    um mit ihr über die Gemälde zu sprechen, die sie für die Kanzlei
    auswählen sollte. Nach einer Weile gab er seine Bemühungen auf, und
    die Kanzlei engagierte einen anderen Händler, dessen Geschmack »mehr unseren Vorstellungen entsprach«. Jake erzählte sie nie von diesem
    Seitensprung, obwohl das doch eigentlich Zweck der Übung gewesen
    war – was war an der Rache noch süß, wenn der, den sie treffen sollte, sie nicht zu spüren bekam? Aber sie schaffte es einfach nicht, ihm etwas zu sagen – nicht etwa weil sie ihm nicht wehtun wollte, wie sie sich damals einzureden suchte, sondern weil sie fürchtete, ihm mit einem Geständnis genau den Vorwand zu liefern, den er suchte, um sie zu
    verlassen.
    Sie hatte also geschwiegen, und alles war weitergelaufen wie bisher.
    Sie hatten die Fassade eines gemeinsamen Lebens aufrechterhalten –
    unterhielten sich bei Tisch höflich miteinander, gingen mit Freunden zum Abendessen aus, schliefen mehrmals in der Woche miteinander,
    häufiger, wenn er gerade eine Affäre hatte, und stritten sich wie Hund und Katze über jede Lappalie, nur nicht über das, worum es wirklich ging. Du schläfst mit anderen Frauen!, hätte ihr Vorwurf eigentlich lauten müssen, wenn sie tobte, weil er von der Küchenrenovierung nichts
    wissen wollte. Ich will überhaupt nicht hier sein!, hätte er in Wirklichkeit sagen müssen, wenn er ihr wütend vorhielt, sie gebe zu viel Geld aus, sie müsse sparsamer sein. Manchmal weckten sie Kim mit ihren Auftritten.
    Sie kam
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