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Zähl nicht die Stunden

Titel: Zähl nicht die Stunden
Autoren: Joy Fielding
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dann ins Schlafzimmer gelaufen und ergriff augenblicklich die Partei ihrer Mutter. Dann waren sie zwei gegen einen – eine weitere Ironie, die – so vermutete Mattie — an Jake, der ja nur Kims wegen überhaupt hier war, unbemerkt vorbeizog.
    Vielleicht, dachte Mattie mit einem Blick auf das Telefon an der Wand neben ihr, hat Kim ja Recht. Vielleicht war nicht mehr notwendig als eine kleine Demonstration von Loyalität, um ihn wissen zu lassen, dass sie auf seiner Seite stand und es zu schätzen wusste, wie hart er arbeitete, wie sehr er sich bemühte – immer bemüht hatte –, das Richtige zu tun.
    Sie griff zum Telefon, zögerte, beschloss, lieber ihre Freundin Lisa anzurufen. Lisa würde ihr den richtigen Rat geben. Sie wusste immer, was zu tun war. Sie war schließlich Ärztin, und Ärzte wussten doch auf alles die richtige Antwort, oder nicht? Mattie wählte die ersten Ziffern der Telefonnummer, dann legte sie ungeduldig wieder auf. Was fiel ihr ein, Lisa, die bestimmt irrsinnig viel zu tun hatte, wegen so einer Lächerlichkeit bei der Arbeit zu stören! Sie würde doch wohl fähig sein, ihr Problem selbst zu lösen. Rasch gab sie die Nummer von Jakes
    Direktanschluss ein und wartete, während es läutete – einmal, zweimal, dreimal. Er weiß, dass ich es bin, dachte sie, während sie ärgerlich ihren Fuß schüttelte, um das lästige Kribbeln an der Sohle loszuwerden, das sich von neuem eingestellt hatte. Er überlegt sich, ob er abheben soll oder nicht.
    »Die Freuden des Displays«, spöttelte sie laut und stellte sich Jake an dem massiven Eichenschreibtisch vor, der gut ein Drittel seines weiß Gott nicht geräumigen Büros in der einundvierzigsten Etage des John
    Hancock Gebäudes im Zentrum von Chicago einnahm. Das Büro, eines
    von 320, die alle zur renommierten Anwaltskanzlei Richardson, Buckey und Lang gehörten, zierte ein eleganter Berberspannteppich, und es hatte deckenhohe Fenster mit Blick auf die Michigan Avenue, aber es war viel zu klein für Jakes wachsende Mandantschaft, die sich besonders in letzter Zeit, seit die Presse ihn zu einer Art Lokalberühmtheit hochgejubelt hatte, rapide vergrößert hatte. Ihr Mann schien ein besonderes Talent dafür zu besitzen, aussichtslos scheinende Fälle zu übernehmen und
    dann zu gewinnen. Trotzdem, meinte Mattie, würden wohl nicht einmal
    Jakes beträchtliches Können und sein unwiderstehlicher Charme
    ausreichen, um einen Freispruch für den jungen Mann zu erwirken, der gestanden hatte, seine Mutter vorsätzlich getötet zu haben, und sich nach dem Mord vor seinen Freunden mit der Tat gebrüstet hatte.
    War es möglich, dass Jake schon weg war? Mattie warf einen Blick auf die beiden Digitaluhren auf der anderen Seite der Küche. Die Uhr an der Mikrowelle stand auf 8 Uhr 32, die am normalen Herd auf 8 Uhr 34.
    Gerade wollte sie auflegen, als Jake sich meldete. »Mattie, was gibt’s?«
    Sein Ton war kurz und energisch und machte deutlich, dass er jetzt für einen Plausch wirklich keine Zeit hatte.
    »Hallo, Jake«, begann Mattie und hörte selbst, wie dünn und zaghaft
    ihre Stimme klang. »Du bist heute Morgen so schnell weg gewesen. Ich bin gar nicht dazu gekommen, dir Hals- undBeinbruch zu wünschen.«
    »Tut mir Leid. Ich konnte nicht warten. Ich musste –«
    »Nein, nein, ist doch in Ordnung. Damit wollte ich nicht sagen –«
    Keine zehn Sekunden am Telefon, und schon hatte sie es geschafft, ihm die Laune zu verderben. »Ich wollte dir nur viel Glück wünschen.
    Obwohl das wahrscheinlich ganz überflüssig ist. Du wirst bestimmt
    genial sein.«
    »Glück kann man immer gebrauchen«, erwiderte Jake.
    Ein Spruch aus einem Glückskeks, dachte Mattie.
    »Hör mal, Mattie, ich muss wirklich los. Es ist nett, dass du angerufen hast –«
    »Ich hab mir gedacht, ich komme zur Verhandlung.«
    »Bitte tu das nicht«, sagte er sofort. Viel zu schnell. »Ich meine, es ist wirklich nicht nötig.«
    »Ich hab schon verstanden«, versetzte sie, ohne zu versuchen, ihre
    Enttäuschung zu verbergen. Offensichtlich gab es einen Grund, warum
    er sie nicht bei der Verhandlung haben wollte. Mattie fragte sich, wie der Grund aussah, und schob den bedrückenden Gedanken dann rasch weg.
    »Ich wollte jedenfalls nur anrufen, um dir viel Glück zu wünschen.«
    Wie oft hatte sie das jetzt schon gesagt? Dreimal? Viermal? Hatte sie denn kein Gespür dafür, wann es Zeit war, sich zu verabschieden, mit Grazie zu gehen, ihre guten Wünsche und ihren Stolz einzupacken
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