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Zähl nicht die Stunden

Titel: Zähl nicht die Stunden
Autoren: Joy Fielding
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Bewegungen wie ein Roboter zurück ins Bad ging. Sie nahm den Löffel und kehrte noch langsamer ans Bett zurück wie ein
    aufziehbares Spielzeug, das seine letzten unsicheren Schritte machte.
    »Es ist alles in Ordnung« , erklärte Mattie ihr. »In ein paar Minuten stellst du alles wieder dorthin zurück , wo du es hergeholt hast. Niemand wird es je erfahren.«
    »Was soll ich denn sagen? Was soll ich Kim und Jake sagen , wenn sie nach Hause kommen?«
    »Die Wahrheit – dass es mir gut geht und dass ich schlafe.«
    »Ich glaube nicht , dass ich das kann.« Vivs Finger zitterten so heftig, dass sie den Löffel mit beiden Händen festhalten musste.
    Sie sieht beinahe so aus, als würde sie beten, dachte Mattie. »Du
    kannst es«, beharrte sie. »Du musst.«
    »Ich weiß nicht. Ich glaube nicht, dass ich es kann.«
    »Verdammt noch mal, Mama. Du hast es für deine Tiere getan. Du
    hast verstanden, dass du sie nicht leiden lassen durftest.«
    »Das ist etwas anderes« , flehte ihre Mutter. »Du bist mein eigen Fleisch und Blut. Ich kann das nicht.«
    »Doch , du kannst es« , wiederholte Mattie beharrlich und zwang ihre Mutter , sie direkt anzusehen. Mit Blicken dirigierte sie sie zu dem Nachttisch , bedeutete ihr , den Löffel aus der Hand zu legen und das Fläschchen mit den Morphium-Tabletten zu öffnen.
    »Ich weiß , dass ich keine besonders gute Mutter war, Martha«, sagte ihre Mutter , und Tränen kullerten über ihre glühend roten Wangen. »Ich weiß , dass ich dich enttäuscht habe.« »Dann enttäusch mich jetzt nicht.«
    »Bitte verzeih mir.«
    »Schon gut , Mama. Es ist okay.«
    »Verzeih mir« , wiederholte ihre Mutter, wich von Mattie und dem Bett zurück. »Aber ich kann das nicht. Ich kann nicht. Ich kann nicht.«
    »Mama?«
    »Ich kann nicht. Es tut mir schrecklich Leid, Martha. Ich kann einfach nicht.«
    »Nein!«, rief Mattie, als ihre Mutter aus dem Zimmer floh. »Nein, du kannst mich nicht allein lassen. Das kannst du nicht machen. Bitte
    komm zurück. Komm zurück. Du musst mir helfen. Du musst mir
    helfen. Bitte, Mutter, komm zurück. Komm zurück.«
    Mattie hörte, wie die Haustür aufging und mit grausamer
    Endgültigkeit wieder ins Schloss fiel.
    Ihre Mutter war weg.
    »Nein!«, schrie Mattie. »Nein! Du darfst nicht gehen. Du darfst nicht gehen. Du musst mir helfen. Du musst mir helfen.«
    Und dann hustete sie, rang nach Luft und zappelte auf dem Bett
    herum wie ein Fisch auf den Planken eines Fischerboots, ihr Körper
    zuckte hilflos hin und her, während der Hund an ihrer Seite zunehmend beunruhigt bellte. »Hilfe«, rief Mattie dem leeren Haus zu. »Hilfe, hilft mir denn niemand?«
    Mattie wälzte sich auf den Nachttisch, stieß das Wasserglas und das Fläschchen mit den Tabletten um, sah, wie beides zu Boden purzelte , bevor sie selbst vom Bett fiel, schmerzhaft auf der linken Schulter landete und den Teppich in Mund und Nase schmeckte, während der
    Hund wimmernd neben ihr hockte.
    Es kam ihr vor, als hätte sie eine Ewigkeit dort gelegen, bis die Luft langsam in ihre Lunge zurückkehrte. Der Hund kauerte neben ihrer
    schmerzenden Schulter und leckte mit seiner eifrigen Zunge immer
    wieder über ihre Wange. Das Morphium lag keinen halben Meter
    entfernt vor ihrer Nase, doch sie konnte es nicht erreichen. Und selbst wenn, was würde es ihr nutzen , wenn sie das Fläschchen nicht öffnen konnte? Mattie sah aus dem Fenster in die Dunkelheit, als wollte sie sie ins Zimmer locken , betete darum , in ihr zu versinken und ihrem Leiden ein für alle Mal zu entfliehen. Und dann hörte sie auf der Treppe
    Schritte, die näher und näher kamen.
    Sie schlug die Augen auf.
    »O Gott, Martha«, schluchzte ihre Mutter , nahm Mattie in die Arme und wiegte sie hin und her wie ein Baby. »Es tut mir so Leid. Es tut mir so Leid.«
    »Du bist zurückgekommen«, flüsterte Mattie. »Du hast mich nicht
    allein gelassen.«
    »Ich wollte.« .
    »Aber du hast es nicht getan.«
    »Ich habe die Haustür aufgemacht. Ich habe dich weinen gehört. Ich
    wollte gehen, aber ich konnte nicht«, sagte ihre Mutter mit zitternder Stimme. »Erst mal müssen wir dich wieder ins Bett legen«, sagte sie und schaffte es irgendwie , Mattie vom Boden wieder auf die Matratze zu hieven.
    Sie stützte Matties Kopf mit Kissen ab , deckte sie zu, hob langsam und wortlos das leere Glas auf und trug es ins Badezimmer. Mattie hörte das Wasser laufen und verfolgte, wie ihre Mutter mit einem Glas Wasser in der Hand zögerlich ins Zimmer
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