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Zähl nicht die Stunden

Titel: Zähl nicht die Stunden
Autoren: Joy Fielding
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trug eine lavendelfarbene Bluse, die sie in eine schicke graue Hose gesteckt hatte, und selbst auf den zu einem beklommenen Lächeln verzogenen Lippen
    schimmerte ein Hauch von Farbe.
    »Wie fühlst du dich?«, fragte sie, und ihr Blick huschte rastlos durch Matties Schlafzimmer, bis er an dem kleinen Hund hängen blieb, der zusammengerollt zu Matties Füßen lag. »Du siehst gut aus.«
    »Danke. Du auch.«
    Ihre Mutter nestelte verlegen an ihrem Haar. »George scheint eine
    neue Freundin gefunden zu haben.«
    »Ich glaube, es gefällt ihm hier.«
    Ihre Mutter streckte die Hand aus und kraulte den Welpen, der sich
    sofort auf den Rücken drehte und seine Beinchen in die Luft streckte, als wollte er sie ermutigen weiterzumachen. Wie leicht er sich verständigen kann, dachte Mattie wieder und beobachtete, wie ihre Mutter behutsam über die zarte Unterseite des kleinen Hundes strich. Wie mühelos er seine Wünsche deutlich machen konnte. »Es war nett, Lisa wieder zu
    sehen«, sagte Viv. »Es ist erstaunlich. Ihr Gesicht sieht noch genauso aus wie mit zehn.«
    »Sie verändert sich nie« , stimmte Mattie ihrer Mutter zu und merkte , wie tröstend dieser Gedanke war.
    »Es ist schwer, sie sich als erfolgreiche Ärztin vorzustellen.«
    »Sie wollte nie etwas anderes sein«, erinnerte Mattie sich. »Als Lisa Doktor gespielt hat, hat sie es wirklich ernst gemeint.«
    Ihre Mutter lachte. »Du klingst so viel besser«, sagte sie mit
    offensichtlicher Erleichterung. »Deine Stimme ist klar und kräftig.«
    »Sie kommt und geht«, erklärte Mattie ihr.
    »Dann ist es wichtig, nicht aufzugeben, nicht die Hoffnung zu
    verlieren.«
    »Es gibt keine Hoffnung, Mutter«, sagte Mattie, so behutsam sie
    konnte. Ihre Mutter erstarrte und zog sich vom Bett ans Fenster zurück.
    Sie starrte ziellos in die Dämmerung.
    »Die Tage werden schon kürzer.«
    »Ja, das stimmt.«
    »Ihr werdet wahrscheinlich demnächst den Pool abdecken.«
    »In ein paar Wochen.«
    »Kim sagt, dass sie eine ziemlich gute Schwimmerin geworden ist.«
    »Kim wird in allem gut sein, wenn sie sich darauf konzentriert und es wirklich will.«
    »Ja, das ist wohl wahr«, stimmte ihre Mutter ihr zu.
    »Du wirst dich um sie kümmern, nicht wahr? Du wirst aufpassen, dass
    es ihr gut geht?«
    Schweigen.
    »Mutter-«
    »Natürlich werde ich mich um sie kümmern.«
    »Sie hat dich sehr gern.«
    Matties Mutter blickte mit zitterndem Kinn zur Decke und schob ihre
    Unterlippe vor, bis ihre Oberlippe darunter verschwunden war. »Hast du das Foto gesehen , das sie von mir und einen Hunden gemacht hat?«
    »Es ist ein sehr schönes Bild«, sagte Mattie.
    »Ich glaube, sie hat wirklich Talent. Ich denke, dass das vielleicht etwas ist, was sie weiterverfolgen sollte.«
    Mattie lächelte traurig. »Ich denke, du musst mir jetzt zuhören.«
    »Ich denke, du solltest eine Weile schlafen«, fuhr ihre Mutter unbeirrt fort. »Du bist müde. Nach einem kleinen Nickerchen sieht die Welt
    schon wieder ganz anders aus.«
    »Mutter , bitte , hör mir zu. Es ist Zeit.«
    »Ich weiß nicht, was du meinst.« T
    »Ich glaube, das weißt du sehr wohl.«
    »Nein.« .
    »Bitte, Mutter. Du hast es mir versprochen.«
    Schweigen.
    »Was genau soll ich denn machen?«, fragte Viv schließlich.
    Mattie schloss die Augen. »Danke«, flüsterte sie und atmete tief aus.
    Sie öffnete die Augen und blickte zum Badezimmer. »Das Fläschchen
    mit dem Morphium ist im Medizinschrank. Du musst zwanzig Tabletten
    zerstampfen und in Wasser auflösen , das du mir dann nach und nach einflößt, bis ich alles geschluckt habe.«
    Ihrer Mutter stockte vernehmlich der Atem, doch sie sagte nichts.
    »Dann könntest du vielleicht einfach bei mir sitzen bleiben, bis ich einschlafe. Würdest du das tun?«
    Ihre Mutter nickte langsam und mit klappernden Zähnen, als wäre ihr
    kalt. »Im Medizinschrank?«
    »Am Waschbecken findest du einen Löffel. Und ein Glas«, rief Mattie
    ihr nach, obwohl ihre Stimme immer schwächer wurde. Sie sprach ein
    stummes Gebet, obwohl sich keine Worte bildeten, nicht einmal in
    ihrem Kopf. Sie tat das Richtige.
    The time for hesitating ’ s through. Es war an der Zeit.
    Und plötzlich stand Matties Mutter am Fuß des Bettes, das
    Fläschchen mit Morphium in der einen, das Glas Wasser in der anderen Hand. »Der Löffel« , erinnerte Mattie sie.
    »O ja.« Viv stellte das Glas und das Fläschchen mit den Tabletten auf den Nachttisch an Matties Kopf , bevor sie mit langsamen , seltsam abgehackten
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