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Zähl nicht die Stunden

Titel: Zähl nicht die Stunden
Autoren: Joy Fielding
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Mutter.
    »Du bist bloß ein kleines Mädchen , das einen großen Fehler gemacht hat« , sagte Mattie , küsste Kim auf die Stirn und zupfte mit schwachen Fingern an den Klammern in ihrem Haar, bis es offen auf ihre Schultern fiel. »Du bist mein süßes Baby. Ich liebe dich so sehr.«
    »Ich liebe dich auch. Es tut mir Leid, Mama. Es tut mir so Leid.«
    »Ich weiß, Schätzchen.«
    »All deine Sachen –« »Das ist alles, was sie sind. Bloß Sachen« , erklärte Mattie ihr , und ihre Lippen verzogen sich unwillkürlich zu einem Lächeln. »Neumodische Pfeffermühlen.«
    »Was?«
    »Sachen kann man ersetzen, Kimmy«, sagte Jake und setzte sich zu
    ihnen aufs Bett.
    »Und wenn nicht?«
    »Dann sind es immer noch bloß Sachen«, sagte er.
    »Ihr hasst mich nicht?«
    »Wie könnten wir dich hassen?«, fragte Mattie.
    »Wir lieben dich«, sagte Jake und rutschte neben die beiden. »Bloß weil wir nicht glücklich darüber sind, was du getan hast, heißt das noch nicht, dass wir dich nicht mehr lieben oder je aufhören werden dich zu lieben.« Mattie sah, wie er die Hand nach Kims Kopf ausstreckte, um einige verbliebene, widerspenstige Haarklammern zu lösen, bevor er ihr seidenweiches Haar nach hinten strich.
    Im nächsten Moment weinte Kim in seinen Armen. Jake hielt sie
    mehrere Minuten lang fest an sich gedrückt, bevor er, ohne seine
    Tochter zu stören, die Hand ausstreckte und Matties Finger berührte. So saßen die drei, geborgen und vereint, bis es dunkel wurde.
    33

    Mattie saß in ihrem Rollstuhl auf dem Balkon hinter der Küche und
    sah ihrer Tochter beim Schwimmen zu. Es war ungewöhnlich kühl für
    Ende September , und vom beheizten Swimmingpool stieg Dampf auf.
    Matties Blick folgte dem eleganten Bogen , den die Arme ihrer Tochter vor dem Eintauchen beschrieben , ihrem schlanken geschmeidigen Körper, der angetrieben vom stetigen Stoß ihrer Füße durchs Wasser
    glitt. Wie eine schöne junge Meerjungfrau, dachte sie und stellte sich vor, an der Seite ihrer Tochter zu schwimmen.
    »Ist Ihnen kalt, Mrs. Hart?«, fragte eine Stimme irgendwo hinter ihr.
    »Ein bisschen«, brachte Mattie unter großen Mühen hervor. Sofort
    spürte sie, wie ein Kaschmirschal um ihre Schultern gelegt wurde.
    »Danke, Aurora«, flüsterte sie, ohne zu wissen, ob die zierliche
    mexikanische Haushälterin, die Jake Anfang des Sommers engagiert
    hatte, sie hören konnte. Ihre Stimme war mittlerweile so leise, so
    schwach. Jedes Wort war ein Kampf. Für alle Beteiligten. Sie bemühte sich zu sprechen , um nicht an ihren Gedanken zu ersticken , und die Menschen in ihrer Umgebung bemühten sich zu verstehen, was sie zu
    sagen versuchte.
    »Komm rein, George«, rief Kim dem ausgelassenen Welpen zu, der
    neben dem Becken auf und ab lief. »Das Wasser ist ganz warm.«
    George tat bellend seine Verweigerung kund, sprang die Balkontreppe
    hinauf, hüpfte in Matties Schoß und leckte ihr Gesicht ab. Er konnte sich problemlos verständlich machen , dachte Mattie und genoss das Gefühl seiner feuchten Zunge auf ihren Lippen , während Kim ihr vom Becken fröhlich zuwinkte und dann weiterschwamm.
    »Nein , nein« , sagte Aurora, hob den kleinen Hund von Matties Schoß und setzte ihn auf die Zedernholzplanken. »Nicht Mrs. Harts Lippen lecken.«
    »Das ist schon in Ordnung, Aurora«, wollte Mattie sagen, doch
    stattdessen hustete sie, und ihr Husten ging in ein verzweifeltes Röcheln über. In den vergangenen Monaten wären Matties Hände nach oben
    geschnellt, während sie versuchte, Sauerstoff in ihre Lungen zu zwängen, doch jetzt hingen ihre knochigen Arme leblos herab, und ihre knorrigen Finger lagen ordentlich gefaltet in ihrem Schoß. Nur ihr Kopf wippte mit jedem erstickten Atemzug auf und ab.
    »Es ist okay. Sie okay«, erklärte Aurora ihr ruhig, die bei solchen
    Attacken längst nicht mehr in Panik geriet, sondern Mattie fest in die Augen sah, bis der Anfall vorüber war. »Sie okay«, wiederholte sie, wischte mit einem Taschentuch die Tränen aus Matties Augen, strich ihr Haar zurück und tätschelte ihre nutzlosen Hände, die auf ihren ebenso nutzlosen Beinen lagen. »Wollen Sie etwas trinken? Wasser oder Saft?«
    »Wasser«, sagte Mattie und konnte nur die erste Silbe klar hören,
    während die zweite sich wie der Dampf aus dem Pool in der kalten Luft auflöste.
    Sobald Aurora sich in die Küche zurückzog, sprang George wieder
    auf Matties Schoß und leckte ihr zwei Mal über die Lippen, bevor seine neugierige Zunge in ihrem
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