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Yolo

Yolo

Titel: Yolo
Autoren: Gisela Rudolf
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anschließe? Dann war ich ihr Kumpel. Über die Schule sprachen wir nie, ich wollte Unterricht und Privates nicht miteinander vermengen. Einzig dieser Tibor, ein intelligenter Kerl ohne Antrieb, hielt sich nicht daran. Er jammerte über seine miesen Noten und versuchte, mich zu einem Goodwill zu verleiten, »bloß wenigstens eine Vier!« Mein dezidiertes Nein ließ den Schelm über eine Wurzel stolpern, und ich bückte mich helfend zu ihm. Wieder auf den Beinen, hielt er mich an beiden Schultern fest: »Wenn du verschwitzt und so zerzaust bist, siehst du zum Verlieben aus.« Worauf ich, vom Kompliment eines Achtzehnjährigen geschmeichelt, »nur dann?« erwiderte. Aber ich tat sofort wieder einen Schritt zur Distanz und ergänzte: »Das sagst du besser Sonja, siehst du nicht, wie schlecht es ihr geht?«
    An der Rezeption verlange ich neutrales Schreibpapier und schreibe meine Kündigung.
    Beim Abendessen ist der Mann mit den graumelierten Locken und dem schmalen Gesicht nicht mehr bei uns. Feigenblatt sitzt allein in einer Ecke, und zwar an jener Seite des Tisches, wo er gegen die Wand guckt. Noch immer im Manchesterkittel und dem karierten Schal, sonst hätte ich ihn nicht erkannt. Von hinten wirkt er älter. Obwohl er wenig geredet hat, fehlt er mir, fehlt mir sein schweigsames, ein bisschen verträumtes Wesen. Bei seinem Lächeln schimmerte dann und wann etwas Zuversicht durch, vielleicht gar eine gute Vergangenheit. Ich sah ihn an einem Strand dösen, im Meer kraulen, auf einem Motorrad fahren … Doch jener Mann, der uns seinen leicht gebeugten Rücken zukehrt, war nie glücklich und nie weit weg. Er säße aufrecht und uns zugewandt am Tisch, nicht wie eine Rentner, der mit allem abgeschlossen hat. Wir haben ihn vertrieben, ohne das Geringste von ihm zu wissen.
    Dort sitzt die verkörperte Einsamkeit.
    »Neulich bestellte ich im McDonalds ein Hähnchen, da fragte doch der Angestellte, ob ich Chicken meine. Nö, sag ich ihm, net schicken, ich ess es gleich hier.«
    Zu allem und jedem kann Kroner etwas beisteuern. Sogar bei der Nachspeise, die er nicht essen darf, versucht er komisch zu sein: »Männer lieben Vanille, deshalb riechen alle Huren der Welt so.«
    DeLauros Blick verrät nicht, ob er nur aus Höflichkeit lacht.
    Kaum sind die Teller abgeräumt, steuert ein Paar auf unseren Tisch zu. Voraus der Mann, ein Riese, Managertyp, Mitte sechzig, konservativ gekleidet, blasierter Ausdruck. Bei seiner weiblichen Begleitung fällt als erstes, wiewohl hinter einem Foulard kaschiert, die Halskrause auf, darunter ein tiefes Dekolleté, knallrote, aufgespritzte Lippen – ganz das Klischee der blonden Ewigjungen.
    »Gut, dass Sie schon gegessen haben, haben wir nämlich auch schon, unterwegs, die Henkersmahlzeit quasi, nicht wahr, Schatz?«
    Nach einem Blick zu ihrem Schatz gibt sie uns allen die Hand: »Ich bin die Tanja, und das ist mein Mann, ich habe ihn gebeten, mich vor seiner Rückreise noch an den Tisch zu begleiten.« Und zu ihm gewandt: »Danke, Schatz, jetzt kannst du ruhig gehen, hier bleibe ich gerne.«
    Sie drückt sich kurz an ihn, was ihm peinlich ist.
    Wie Tanja bei uns sitzt, tut es mir leid, sie überheblich gemustert zu haben. Ihre Natürlichkeit macht mir zusehends mein dummes Gebaren bewusst.
    Nach einer amüsanten Geschichte über einen früheren Tanzschwarm lotst uns unsere neue Tischgenossin ins Fernsehzimmer.
    Dirty Dancing
und die Fünfzigerjahre! DeLauro verabschiedet sich diplomatisch. Ich harre Tanja zuliebe aus. Verspätet schleicht der Burn-out-Patient, der auf dem Fitnessgerät keuchte, herein. Er stolpert über einen leeren Stuhl, hebt diesen auf und trägt ihn in die hinterste Ecke des Saales. Endlich sitzt er.
    Langweilig ist es mir längst nicht mehr. Alles andere als langweilig. Die Tänzer leben Erotik im höchsten Grad. Sex mit allen Sinnen! Und ich bin hungrig danach … Mich hingeben, verschmelzen …
    Danach setzen wir zwei Frauen uns noch eine Weile in die Bibliothek, hinten in die Nische beim Cheminée. Schwaches Licht, offiziell ist Ruhezeit. Mit meinen Gefühlen noch ganz im Film, sage ich unvermittelt zu Tanja: »Verrückt. Vorhin war ich zeitweise völlig weg. Ließen sich solche Momente doch speichern.«
    »Ja, der Sex. Ohne ihn läuft nichts. Obwohl, um ehrlich zu sein, ich empfinde seit etwa vier Jahren nicht mehr viel dabei, eigentlich gar nichts. Aber wen kümmert das, solange es mein Geheimnis bleibt?«
    Ich will ihrem Redefluss nichts beifügen. Also fährt
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