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Yolo

Yolo

Titel: Yolo
Autoren: Gisela Rudolf
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Stuhl in der Dusche und lasse kaltes Wasser an mir herab rinnen.
    Die Vergangenheit ist nicht mehr, die Zukunft ist noch nicht, warum spüre ich keine Gegenwart? Der Boden ist so brüchig unter mir.
    Völlig abgekühlt ziehe ich die Bettdecke derart eng um mich, dass mir selbst im Traum heiß wird: Alessandro ist bei Christian und mir zu Besuch. Wir sitzen alle an einem langen Tisch, Christian am oberen Ende und Alessandro und ich wie ein Paar eng beieinander am unteren Ende. Die Männer reden nicht als Freunde miteinander, aber sie sind sich auch nicht spinnefeind. Ich erfreue mich am Aussehen meines Italieners, seiner Gestik und lausche dem Tonfall seiner rauhen Stimme. Sachte streicht meine Hand zwischen seine Oberschenkel, was mich sofort erregt …
    Keuchend erwache ich. Benommen öffne ich das Fenster. Die frische Luft riecht nach Regen.
    Noch bevor ich mir am Morgen die Zähne putze, rufe ich die Auskunft an und erkundige mich nach Alessandros Telefonnummer. An der Via Cosimo de’ Medici wohnt aber kein Cabrese, weder da noch anderswo in Florenz. Die Auskunftsstimme wird nach meinem zweimaligen Nachfragen ungeduldig.
    So hätte Alessandro Florenz verlassen? Lebt er heute im Haus seiner Eltern in Vicchio?
    Nach dem Fieber- und Blutdruckmessen wasche und schminke ich mich. Dazu höre ich die Nachrichten. Wie ätzende Splitter drängt die Außenwelt in meine Abgeschiedenheit. Krieg. Naturkatastrophen. Flüchtlinge. Hunger. Während wir hier drin unserem Narzissmus frönen, kämpfen Menschen um ihr Dasein …
    Und ich nehme den Stift zur Hand, setze zum Lidstrich an, röte die Lippen, vergewissere mich mit einem Rückspiegel, ob der Haarwirbel zugedeckt ist.
    »Wo nehmen wir bloß die Arroganz her, am Weltgeschehen zwar interessiert zu sein, daneben aber ungeniert weiter zu leben, zu tun, was wir immer taten und tun werden?«
    Durch meine Äußerung ernüchtert, blickt Tanja Hilfe suchend zu den beiden Männern: »Ist dieses Thema nicht etwas heavy zum Frühstück?«
    Kroner gibt ihr Recht: »Ja, wir sind hier immerhin in einem Kurhaus, da hat man doch wirklich das Recht auf etwas Schonung.«
    DeLauro blickt zu mir: »Wissen Sie, liebe Felizitas, Ignoranz kann auch ein Akt des Überlebens sein.«
    »Lasst uns endlich von etwas Angenehmem reden«, wirft Tanja mädchenhaft ein. Womit sie Kroner aus der Reserve holt, der in sarkastischem Ton festhält: »Nun ja, gewisse Leute scheinen sich eben besser zu fühlen, wenn sie das Weltenelend wenigstens verbalisieren.«
    Da niemand reagiert, fährt Kroner fort: »Ich bin gewiss kein extremer Egomane, aber nach dem zweiten Herzinfarkt gestattet man sich doch einen gewissen Egoismus.«
    Er wendet sich DeLauro zu: »Auch das ist ein Akt des Überlebens, nicht wahr?«
    »Meine Herren und liebe Felizitas, lasst uns das Thema wechseln! Wir könnten uns zum Beispiel unsere nächtlichen Träume erzählen.«
    Bei jedem anderen Menschen dächte ich, der ist verrückt, aber Tanja verzeiht man alles.
    »Also«, sagt sie unbefangen, »ich beginne: Ich bin im Traum in einem fremden Land gewesen und habe einen Holzschuppen fotografieren wollen, der völlig alleine in der Steppe stand. Da ruft der Schuppen, Moment, ich muss zuerst niesen! Seine Seitenwände haben gewackelt, und das Hüttchen ist zwei Mal in die Höhe gesprungen!«
    »Meine Träume«, höre ich mich sagen, »sind nie mehr lustig. Wenn ich endlich mal etwas Schönes träume, werde ich sogleich wieder mit einem Albtraum bestraft.«
    Ohne es zu wollen, rede ich weiter: »Ich sitze auf dem wc – da springt ein Frosch aus mir heraus. Mein Schrecken wird noch größer, als nun mehrere verendete und aufgeblähte Frösche in die Schüssel plumpsen. Ich wage nicht aufzustehen aus Angst, sie würden mich alle anspringen …«
    »Und dann?«, fragt Kroner.
    »Bin ich erwacht.«
    Die anderen beiden Zuhörer sind peinlich berührt. »Entschuldigung, ich spinne wohl.«
    Am liebsten würde ich in den Boden versinken.
    »Sie müssen sich nicht entschuldigen«, sagt der väterliche Signore, »wir träumen alle mitunter die bizarrsten Dinge. Am besten ist es, Albträumen nicht nachzuhängen.«
    »Ja, Träume sind Schäume.« Mehr kann Tanja dazu nicht sagen, sie muss in die Therapie. Um nicht zu humpeln, geht sie sehr bedächtig durch die Tischreihen. Auf dem Rücken ihres weißen Trainingsanzugs steht in Goldlettern:
fit for fun
.
    Fitness und Spaß sind hier meine Sache nicht. »Noch nicht«, korrigiert mich Jean-Claude. Der Therapeut
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