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Yolo

Yolo

Titel: Yolo
Autoren: Gisela Rudolf
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Tanja fort: »Glück ist kein Zufall. Glücklich zu sein, ist für mich eine Einstellungssache. Ich habe aus meinem Leben stets das Beste gemacht. Natürlich habe auch ich zwischendurch den Verleider, doch dann frage ich mich einfach: Gibt es eine Alternative? Nee, das können Sie mir glauben, die gibt es für mich nicht. Man, ach, was sag ich, Frau wird ja schließlich immer älter – ganz im Gegensatz zum männlichen Geschlecht, nicht wahr?«
    Tanja zwinkert.
    »Wo bin ich stehengeblieben? Ah ja, bei den Alternativen. Wenn es keine gibt, wirst du automatisch wieder bescheiden, bist dankbar und zufrieden für das, was du hast. Ist es nicht so? – Nun sind es drei Jahre, dass Luc und ich zusammen sind. Und glauben Sie mir, wir haben es gut miteinander. Auch wenn er allein das Sagen hat. Er ist es von Beruf aus gewohnt zu befehlen. Aber ich kann gut kuschen, ich habe mich zeitlebens anpassen müssen. Mir ist nichts in die Wiege gelegt worden, das können Sie mir glauben. Ich komme aus einfachsten Verhältnissen; gerade mal eine Anlehre habe ich machen können, mehr nicht, Verkaufsbranche, Lebensmittel.«
    Nach einem – eher gespielten – Seufzer, kommt Tanja wieder auf Luc zu sprechen: »Ich kann Luc übrigens meistens auf seinen Geschäftsreisen begleiten, ich reise fürs Leben gern. Ich bin pflegeleicht und eine gute Vorzeigefrau … Ja, ja, wenigstens das bin ich. War es zumindest, solange ich nicht gehinkt habe.«
    Sie langt genervt an ihre Halskrause. Jetzt tätschelt sie ihren rechten Oberschenkel.
    »Zweifach angerissen. Ein Autounfall. In Strassburg. Luc ist mit ein paar Schürfungen davongekommen, während ich arme Kreatur noch keine zehn Schritte normal gehen kann.«
    Mit einem Mal hält Tanja inne und fixiert meine beiden Handgelenke. Als sie mich fragend anschaut, erkläre ich: »Das sind Pulswärmer.«
    »Pulswärmer – bei dieser Hitze?«
    Weitere Fragen stellt sie nicht. Allerdings geht sie nun wie eine Vertraute zum Du über: »Im Vergleich zu mir bist du jung! In deinem Alter kann man noch Träume wahrmachen und, wenn nötig, zu einem Neubeginn ansetzen. Bei mir ist es aber für große Veränderungen zu spät … Luc bedeutet für mich Endstation. Von seiner Frau will er sich allerdings nicht scheiden lassen, auf gar keinen Fall. Doch ich stelle ihn gleichwohl immer als meinen Mann vor.«
    Sie kichert. Bevor sie weiterredet, zeigt sie auf einen Schmuckstein an ihrer linken Hand. »Schön, gell! Zwar kein Ehering, aber wenigstens ein Brillant. Nun, ich muss mich damit abfinden. Weißt du eigentlich, wie alt ich bin? In zweieinhalb Jahren sechzig.«
    Auf dem Weg zurück in mein Zimmer denke ich über meine Lebensträume nach. Es artet in ein Resümee aus, das mich erschreckt. Und es erschreckt mich im Korridor auch ein Rollator, obwohl er diskret unter die Treppe geschoben wurde. Diese Hilfsmittel werden mich nach den tausend Besuchen im Altersheim mein Leben lang beklemmen. Mein armer Vater. Stufe um Stufe abwärts ging’s. Gehwagen, Windeln, Sterbekammer – das bohrt sich unauslöschlich in dein Herz. Bei seinem Hirnschlag war mein Vater bereits alt. Du hingegen, Sonja … Mitten aus dem Leben bist du ins Nichts gesprungen!
    Das Leben. Mein Leben. Wenn ich wach im Dunkeln liege und darüber nachdenke, bekommt es eine andere Dimension. Entscheidungen, Beziehungen, Abschie de … Die Zeit selbst ist von einer unfassbaren Bedeutung.
    Hat alles keinen Sinn?
    Hat alles seinen Sinn?
    Tanja schwört beim Einschlafen auf leichte Musik. »Nach zehn gibt’s auf Radio Due italienische Hits aus den Neunzigern«, hat sie mir beim Gutenachtsagen ans Herz gelegt.
    Tatsächlich. Ramazotti, Celentano – und natürlich Nek. Sein Lied
In te
führt allerdings in Zeiten, an die ich mich nicht erinnern will. Umso weniger, wenn ich dabei wieder Alessandro mitsummen höre: Der singende Nek sprach für ihn die Gedanken aus, die mich von meiner Entscheidung abhalten sollten. In meiner jetzigen Situation ätzen die Worte des Sängers mehr als damals. Er besingt den schutzlosen Kleinen, der abgetrieben wird:
Lui vive in te, lui si muove in te – das Kind, das du nicht willst, bewegt sich in dir, es ist schon bei uns
… Du und ich als Eltern, Alessandro, wie wäre das wohl herausgekommen? Gewiss, hätten wir eine Familie gegründet, wäre heute vieles anders.
    Besser?
    Schlimmer?
    Im Halbschlaf setze ich mich in einen Zug, ungehindert rast er in einen Abgrund.
    Ich mache Licht, trinke ein Glas Tee, setze mich auf den
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