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Xeelee 4: Flux

Xeelee 4: Flux

Titel: Xeelee 4: Flux
Autoren: Stephen Baxter
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hatte, beschlich sie nachträglich ein Gefühl der Angst – eine Angst, die sich mit dem Schuldgefühl wegen ihrer Saumseligkeit verquickte –, und während sie durch das Magfeld glitt, spreizte sie die mit Schwimmhäuten versehenen Finger und kraulte durch die Luft, um den Zeitverlust aufzuholen. Weil die Luft mit suprafluiden Neutronen gesättigt war, setzte sie Duras Schwimmbewegungen fast keinen Widerstand entgegen; sie versuchte, die zunehmende Ungeduld durch schnelleres Schwimmen zu kompensieren.
    Die Feldlinien glitten nun wie Träume durch ihr Blickfeld. Sie schlugen Wellen, während sie von im Dunst der Pole verborgenen Giganten geschüttelt wurden. Die in Schwingung versetzten Linien stießen ein dumpfes Stöhnen aus. Die Amplitude der Wellen betrug bereits eine halbe Mannhöhe. Bei Bolders Eingeweiden, sagte sie sich, vielleicht hat dieser alte Narr Adda diesmal doch recht; vielleicht wird dies der schlimmste Sturm aller Zeiten.
    Langsam, quälend langsam, wurde das Lager größer, und wo sie zuvor nur ein Konglomerat aus Bewegung und Geräuschen wahrgenommen hatte, erkannte sie nun Einzelheiten der Gemeinschaft. Das Lager war um das zylindrische Netz, das aus geflochtener Baum-Rinde bestand und seinerseits im Magfeld verankert war, angelegt. Die meisten Leute banden sich zum Schlafen und Essen am Netz fest; der Zylinder war auf ganzer Höhe mit einem Flickenteppich aus Habseligkeiten, Decken, Besen, schlichten Kleidungsstücken -Ponchos, Tuniken und Gürteln – sowie spärlichen Lebensmittelvorräten überzogen. Halbfertige hölzerne Artefakte und ungegerbte Luft-Schwein-Häute baumelten an den Seilen des Netzes.
    Das Netz hatte eine Höhe von fünf und eine Länge von einem Dutzend Mannhöhen. Den Aussagen der älteren Leute, zu denen auch Adda gehörte, war das Netz mindestens fünf Generationen alt. Und es war die Heimat von ungefähr fünfzig Menschen – und ihr ganzer Besitz.
    Während Dura sich durch das Magfeld kämpfte, betrachtete sie die fragile Konstruktion plötzlich ganz nüchtern und objektiv – als ob sie nicht in einer Decke geboren worden wäre, die an den Knoten des schmutzigen Netzes befestigt gewesen war, als ob sie nicht auch dort sterben würde. Wie zerbrechlich es doch wirkte: wie schwach und schutzlos sie in Wirklichkeit waren. Obwohl Dura unterwegs war, um ihren Leuten in diesem Augenblick der Gefahr Beistand zu leisten, fühlte sie sich dennoch deprimiert, schwach und hilflos.
    Die Erwachsenen und größeren Kinder drifteten am Netz entlang und besserten die Knoten aus. Sie sah Esk, der geduldig an einem Abschnitt des Netzes arbeitete. Dura glaubte, er hätte ihr Näherkommen bemerkt, aber sicher war sie sich nicht. Philas, seine Frau, war bei ihm, und Dura wandte den Blick ab. Hier und da sah sie kleine Kinder und Babies, die noch immer am Netz festgebunden waren. Weil die Eltern und älteren Geschwister arbeiteten und sich nicht um sie kümmern konnten, hingen sie einsam und verlassen im Netz und wimmerten ängstlich. Vergeblich zerrten sie an den Fesseln, und Dura empfand Mitleid mit jedem von ihnen. Dann erkannte sie Dia, die ihr erstes Kind erwartete. Zusammen mit ihrem Mann Mur zog Dia Werkzeug und Kleidungsstücke aus dem Netz und stopfte sie in einen Sack; Schweiß glitzerte auf ihrem angeschwollenen, nackten Bauch. Dia war eine feingliedrige Mädchenfrau, und durch die Schwangerschaft wirkte sie noch verletzlicher und jünger; als die kinderlose Dura die Frau, die alle Anzeichen der Angst zeigte, bei der Arbeit sah, wallte ein Beschützerinstinkt in ihr auf.
    Die Tiere – die kleine Herde des Stammes, die aus einem Dutzend Luft-Schweinen und derselben Anzahl Ferkel bestand – wurden entlang der Achse des Netzes angebunden. Das Quieken der Tiere bildete einen dissonanten Kontrapunkt zu den Schreien der Menschen; sie ballten sich im Zentrum des Netzes zu einer zitternden Masse aus Flossen zusammen, in der jedoch die Körperöffnungen und die Stiele mit den großen Kugelaugen zu erkennen waren. Ein paar Leute hatten sich ins Netz begeben und versuchten, die Tiere zu beruhigen und Erkennungsmarken an den perforierten Flossen anzubringen. Beim Näherkommen sah Dura, daß der Abbau des Netzes langsam und ungleichmäßig erfolgte; die Herde quiekte und zappelte panisch.
    Sie hörte, daß die Leute vor lauter Angst und Ungeduld die Stimme erhoben. Was aus der Ferne wie eine konzertierte Aktion ausgesehen hatte, erwies sich beim Näherkommen als ein ausgesprochenes
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