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Xeelee 4: Flux

Xeelee 4: Flux

Titel: Xeelee 4: Flux
Autoren: Stephen Baxter
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intonierte.
    Die Luft war eine Neutronensuppe, ein Suprafluid. Suprafluide reagierten kritisch, wenn sie über längere Zeit hinweg angeregt wurden. Der rotierende Stern wirkte wie ein Dynamo und induzierte ein elektrisches Feld in der Luft, wobei die Feldlinien zu regelmäßigen Strukturen angeordnet wurden, die sich an der Rotationsachse des Sterns ausrichteten – und zwar parallel zur Achse des Magfelds. Die Feldlinien durchzogen die Welt. Solange man ihre Nähe mied, geschah einem nichts; jedes Kind wußte das. Doch bei einem Störfall, so wußte Dura, wurden die Feldlinien instabil… und die Luft verlor im Bereich einer kollabierenden Feldlinie die Suprafluidität und verwandelte sich von einem stabilen, lebensspendenden Fluidum in eine turbulente Zone.
    Die erste Wellenfront schien sich bereits abzuschwächen. Sie öffnete die Augen und orientierte sich im Raum, ohne daß sie den Griff um das Seil gelockert hätte.
    Die Feldlinien, parallele Stränge, die in der Unendlichkeit verschwanden, durchzogen auf der Suche nach einer neuen Konfiguration den Himmel. Es war ein majestätischer Anblick, und für einen Moment stellte Dura sich vor, wie die den Stern umspannenden Feldlinien sich bündelten und neu ausrichteten, als ob der Stern unter dem Einfluß eines gigantischen Bewußtseins stünde.
    Das Netz vibrierte in ihrem Griff, und das rauhe Seil scheuerte die Handflächen auf; der stechende Schmerz riß sie aus ihren Träumen. Sie seufzte und kämpfte gegen die Müdigkeit an.
    »Dura! Dura!«
    Die kindliche, ängstliche Stimme drang aus einer Entfernung von einigen Mannhöhen an ihre Ohren. Sie nahm eine Hand vom Netz und drehte sich um. Dort war Farr, ihr kleiner Bruder, der wie ein Fragment aus Stoff und Fleisch in der Luft hing. Er schwamm auf sie zu.
    Nachdem Farr sie erreicht hatte, nahm Dura ihn in den Arm und half ihm, Arme und Beine im Netz zu vertäuen. Er zitterte und keuchte, und sie sah, daß die Haare pulsierten, als ob sie von Suprafluiden durchströmt wurden.
    »Ich bin abgeworfen worden«, sagte er und atmete stoßweise. »Ich habe das Ferkel verloren.«
    »Das sehe ich. Bist du in Ordnung?«
    »Ich glaube schon.« Er schaute mit leerem Blick zu ihr auf und richtete dann die Augen gen Himmel, als ob er dort nach der Ursache für sein Mißgeschick suchte. »Das ist so schrecklich, Dura. Werden wir sterben?«
    Beiläufig strich sie ihm übers Haar. »Nein«, erwiderte sie mit einer Überzeugungskraft, die sie nicht aufgebracht hätte, wenn sie allein gewesen wäre. »Nein, wir werden nicht sterben. Aber wir sind in Gefahr. Komm jetzt, wir haben zu arbeiten. Wir müssen das Netz abgebaut und zusammengelegt haben, bevor es von der nächsten Welle zerrissen wird.« Sie deutete auf einen kleinen, nicht sehr festen Knoten. »Löse diesen Knoten dort. So schnell wie möglich.«
    Mit zitternden Händen dröselte er den Knoten auf. »Wann wird die nächste Welle kommen?«
    »Wir haben noch genügend Zeit, um die Arbeit zu erledigen«, sagte sie mit fester Stimme. Um auch wirklich sicherzugehen, schaute sie flußaufwärts – nach Norden –, von wo die nächste Welle kommen würde, derweil sie sich mit einem widerspenstigen Knoten abmühte.
    Sie mußte erkennen, daß ihre Prognose falsch gewesen war. Die über das Netz verteilten Menschen stießen Warnrufe aus; sie hatte den Eindruck, daß nur ein paar Herzschläge verstrichen waren, bis sie die ersten Schreie hörte.
    Die nächste Welle raste auf sie zu; sie hörte bereits den durch die Konvektion verursachten Lärm. Diese neue Instabilität war groß, mit einer Periode von mindestens fünf oder sechs Mannhöhen. Wie erstarrt klammerte Dura sich an das Netz. Die Druckwelle näherte sich ihr schneller, als sie es in Erinnerung hatte, und je näher sie kam, desto größer wurde die Amplitude, als ob sie durch die Energie des Störfalls noch verstärkt würde. Und natürlich bedeutete eine größere Amplitude auch eine höhere Geschwindigkeit. Bei dieser Instabilität handelte es sich um ein komplexes Muster aus Wellen, die auf der wandernden Feldlinie ›ritten‹, eine Überlagerung, die um die Feldlinie rotierte und wie eine gierige Bestie auf sie zukam…
    »Diesmal erwischt es uns, nicht wahr, Dura?« fragte Farr.
    Dann trat Stille ein, die Ruhe vor dem Sturm. In Farrs Stimme hatte frühreife Erkenntnis mitgeschwungen. Es war ein Trost für Dura, daß sie ihn nicht anlügen mußte.
    »Ja«, sagte sie. »Wir waren zu langsam. Ich glaube, das Netz wird
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