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Wuestentochter

Wuestentochter

Titel: Wuestentochter
Autoren: Sarah Bryant
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wäre, Khalidah würde ausserhalb der Hassani heiraten - zumal du keinen Erben hast, der die Blutslinie fortführen kann.«
    Khalidah wandte sich angewidert ab. Es hatte in der Tat andere Bewerber gegeben - nicht viele, das hatte sie ihrer unverblümten Art und den mysteriösen Vorfahren ihrer Mutter zu verdanken, aber sie war immerhin die Tochter eines Stammesführers. Sie hatte die Gespräche zwischen ihrem Vater und diesen Bewerbern von ihrem Versteck aus belauscht, und jedes Mal waren die Verhandlungen nur auf eines hinausgelaufen: den für sie zu entrichtenden Preis.
    Bislang waren sämtliche Angebote ausgeschlagen worden. Khalidahs Vater hätte sich auch dann nicht leicht kaufen lassen, wenn er nicht schon reich gewesen wäre. Aber Abd al-Aziz war auch nur ein Mensch und hatte einen großen geheimen Wunsch. Während es andere Männer nach Gold gelüstete, sehnte er sich nach Einigkeit. Das Einzige, was ihn noch mehr bekümmerte als der Verlust seiner Frau, war die Aufspaltung der Hassani in zwei Lager. Seit Khalidah denken konnte, hatte ihr Vater nach einem Weg gesucht, sich mit seinem Bruder zu versöhnen, doch Abd al-Hadi war nicht bereit, sich mit etwas anderem als der vollständigen Abdankung seines Bruders zufriedenzugeben. Niemals - bis jetzt nicht. Khalidah dachte an die Stute - an die Farben von Hoffnung und Sehnsucht - und wusste,  dass Abd al-Hadi endlich den wunden Punkt ihres Vaters gefunden hatte. In der Hoffnung, es möge noch nicht zu spät sein, griff sie nach der Teekanne.
     

2
    Das majlis wimmelte von Männern, vornehmlich Abd al-Hadis Gefolgsleuten. Sie waren eifrig damit beschäftigt, sich große Stücke von dem gerösteten Hammel abzuschneiden, der auf einer großen Platte mit Reis ruhte. Auf den Läufern lagen Kissen in leuchtend bunten Farben verstreut, auf denen vier Männer saßen: Khalidahs Vater, hager und ernst; Abd al-Hadi, sein wohl genährter Zwilling; ihr Vetter Numair, der bei ihrer letzten Begegnung ein schmollender Knabe gewesen und jetzt zu einem hochgewachsenen, bärtigen Mann herangereift war - gut aussehend, aber immer noch mürrisch und wortkarg - und schließlich der Spielmann, dessen Augen sie aus dem Schatten heraus zu durchbohren schienen.
    »Seit wann wartest du ab, bis man dich auffordert, dich zu setzen?«, bemerkte ihr Vater trocken.
    Khalidah, der bewusst wurde, dass sie den Spielmann angestarrt hatte, neigte den Kopf vor Vater und Onkel und entbot ihnen ihre Grüße. Dann goss sie etwas von dem jetzt lauwarmen Tee als obligatorisches Opfer für die Götter in den Sand und stellte die Kanne ab. »Es tut mir leid, dass ich dich habe warten lassen, abatah«, entschuldigte sie sich.
    Abd al-Aziz setzte zu einer Erwiderung an, doch sein Bruder kam ihm lächelnd zuvor. »Wer würde nicht bereitwillig sein ganzes Leben lang auf eine solche Schönheit warten? Als ich dich das letzte Mal gesehen habe, warst du ein Kind mit knochigen Knien. Komm, Sayyida,  setz dich neben mich.« Er klopfte auf das Kissen zwischen sich und Numair. Widerstrebend nahm Khalidah Platz und zog sich ihr Kopftuch tiefer in die Stirn, damit die Männer ihr ihre Gedanken nicht vom Gesicht ablesen konnten.
    »Nein, schlag es zurück.« Numair fixierte sie mit kalten Schlangenaugen. »Ich will dein Gesicht sehen.«
    Sowohl der Befehl als auch der herrische Ton erbosten sie. Khalidah schielte zu ihrem Vater hinüber; wartete darauf, dass er ihren Vetter ob seiner Unverschämtheit zurechtwies, doch er sagte nur: »Tu, was er sagt«, und sah dabei aus, als wäre ihm beinahe etwas anderes entfahren. Widerwillig schob Khalidah das Tuch zurück. Die kleinen Ziermünzen klirrten leise. Sie spürte, wie sich Numairs Augen in ihre rechte Wange und die des Spielmanns in ihre linke brannten. Die dunklen Unterströmungen, die diese scheinbar so friedliche Szene durchsetzten, entgingen ihr nicht.
    »Probier das Hammelfleisch, Khalidah, es ist köstlich.« Abd al-Hadi griff zwischen die Rippen des Tieres und tastete nach einer Niere.
    Khalidah schluckte hart. Ein gerösteter Tierkadaver verursachte ihr immer Übelkeit, und im Moment fühlte sich ihr Magen ohnehin schon an, als stünde er in Flammen. »Danke, ammah, aber ich habe schon gegessen.« Sie goss sich ein Glas kalten Tee ein und nippte daran, um ihre Nervosität zu überspielen.
    Ihr Vater und ihr Onkel wechselten einen Blick, dann räusperte sich Abd al-Aziz. »Khalidah, du weißt, dass ich mir schon lange wünsche, die beiden Zweige der Hassani
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