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Wuestentochter

Wuestentochter

Titel: Wuestentochter
Autoren: Sarah Bryant
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viele seiner Stammesbrüder ihre Pferde gleichfalls nachts in ihren Zelten unterbrachten, ging keiner so weit, ihnen einen eigenen üppig mit gewebten Wandbehängen und filigranen Lampen ausgestatteten Raum zuzuweisen.
    Dieser Stall lag zwischen dem majlis und dem maharama. Tagsüber  war er leer und diente Khalidah schon lange als Fluchtweg, wenn sie endlosen langweiligen Besprechungen entkommen wollte und als Möglichkeit, die interessanten zu belauschen, zu denen sie nicht dazugebeten wurde. Sie sah sich um, um sich zu vergewissern, dass niemand sie beobachtete, und schlüpfte dann hinein. Aus Gewohnheit raffte sie ihre Röcke, obwohl der Boden sauber gekehrt war, stellte die Teekanne neben einer kupfernen Tränke ab und legte das Ohr an die Zeltwand.
    Ein Mann mit einer ebenso klangvollen, aber etwas weicheren Stimme als der ihres Vaters sagte gerade: »Ich weiß, dass es für dich überraschend kommt, aber die Franken halten seit einiger Zeit die Waffenruhe nicht mehr ein, und uns bleibt vielleicht keine Zeit für langwierige Verhandlungen.« Das musste Abd al-Hadi sein.
    »Ein Franke«, gab ihr Vater kühl zurück. »Brins Arnat.«
    »Ja, und Arnat kann sich gut und gerne als gefährlicher erweisen als alle anderen zusammen, denn ihr jämmerlicher König scheint seine Marionette zu sein und die Templer seine Schoßhunde. Arnat hat die Waffenruhe gebrochen, als er damals diese Karawane überfallen hat, und soweit ich gehört habe, hat keiner seiner Leute irgendetwas dagegen unternommen - am allerwenigsten König Guy.«
    »Es heißt, Saladin verhandelt bereits über die Freilassung der Gefangenen.«
    »Arnat verhandelt nicht«, erwiderte Abd al-Hadi erregt. »Höchstens mit der Spitze seines Schwertes.«
    »Auch unsere Schwerter haben Spitzen«, konterte Abd al-Aziz.
    »Ich habe keinVerlangen danach, gegen die Franken zu kämpfen«, meinte sein Bruder. »Sieh mich nicht so an, als wäre ich ein Feigling, der deine Verachtung verdient. Ich spreche nicht feige, sondern weise. Wenn dieser hitzköpfige Kurde Arnat herausfordert, ist das der einzige Vorwand, den die Ungläubigen brauchen, um einen neuen Krieg zu beginnen. Und da es mir äußerst unwahrscheinlich erscheint, dass  Arnat doch noch auf seinen König hört oder den Sultan beschwichtigt, ziehe ich es vor, mich so weit wie möglich von beiden zu entfernen, und das so schnell wie möglich.«
    »Warum unterbreitest du mir dann diesen Vorschlag?« Abd al-Aziz’ Stimme klang neutral. »Was versprichst du dir von einem Bündnis mit mir? Meine Weidegründe sind mit Festungen der Franken übersät.«
    »Du wirst mein Werk weiterführen, wenn ich von einem fränkischen Schwert durchbohrt werde.«
    »Dann wird Allah dich als gefallenen Glaubenskrieger reich entlohnen.«
    Eine angespannte, bittere Stille trat ein. Dann sagte Abd al-Hadi: »Die Franken sind unbesonnen und ungeduldig. Eines Tages werden sie sich übernehmen, und dieses Land wird wieder uns gehören. Wenn ich lange genug lebe, um diesen Tag mitzuerleben, werde ich frohen Herzens vor Allah treten.« Nachdem ein weiteres Mal langes Schweigen geherrscht hatte, fuhr er fort: »Aber wir sind von unserem eigentlichen Gesprächsthema abgekommen.«
    »In der Tat«, erwiderte Abd al-Aziz bedächtig, und Khalidah konnte fast sein Gesicht vor sich sehen: schmal und intelligent, mit einem Leuchten in den schwarzen Augen, das von Gedanken zeugte, die er nicht laut aussprach. »Ich sehe die Weisheit, die in deinem Vorschlag liegt, aber Khalidah ist auf eine Ehe noch nicht vorbereitet.«
    Und da war es - das Wort, von dem sie gewusst hatte, dass es fallen würde. Sie hätte gerne geglaubt, ihr Vater würde aus Liebe zu ihr zu Ausflüchten greifen, aber sie war zur Selbsttäuschung nicht fähig.
    »Sie ist fast sechzehn«, hielt Abd al-Hadi ihm entgegen. »In diesem Alter sind die meisten Mädchen bereits verheiratet.«
    »Khalidah ist nicht wie andere Mädchen. Sie ist ohne Mutter aufgewachsen, vergiss das nicht.«
    »Hat ihre Amme sie nicht in diesen Dingen unterwiesen?«, wollte ihr Onkel wissen.
    Abd al-Aziz seufzte. »Zeyneb hat selbst kaum Erfahrungen mit der Ehe, die sie an Khalidah hätte weitergeben können.«
    »Warum behältst du sie dann in deinen Diensten?«
    Abd al-Aziz erwiderte nichts darauf.
    »Deinem Zögern entnehme ich, dass es andere Bewerber um ihre Hand gegeben hat.«
    Abd al-Aziz schwieg immer noch.
    »Blut wiegt schwerer als Gold, akhah. Du kannst mir nicht weismachen, dass es dir lieber
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