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Wuestentochter

Wuestentochter

Titel: Wuestentochter
Autoren: Sarah Bryant
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Höhle die Männer ihrer Familie über ihr Schicksal entschieden. Bei der Vorstellung schnürte sich ihre Kehle zu.
    »Komm, wir gehen zurück«, sagte sie und begann, den Hügel hinunterzulaufen, ohne Bilals Antwort abzuwarten.
     Als sie das Lager erreichten, machte sich Bilal auf die Suche nach etwas zu essen, während sich Khalidah zum Zelt ihres Vaters begab. Im majlis war alles still, die ghata war hochgerollt und gab den Blick auf die verlassene Unterkunft der Männer frei. Leere Kaffeetassen standen auf dem Boden, das Feuer in der kleinen Grube war heruntergebrannt. Khalidahs Herz wurde noch schwerer. Die Entscheidung war bereits gefallen. Sie wollte sich gerade abwenden, als sich im Schatten des Zeltes etwas regte. Neugierig trat sie einen Schritt vor und sprang dann erschrocken zurück, als sie feststellte, dass das majlis  doch nicht leer war. In der hintersten Ecke saß ein Mann und winkte sie zu sich. Er mochte so alt sein wie ihr Vetter Numair - zwanzig -, aber damit hörte die Ähnlichkeit auch schon auf. Sein Gesicht war freundlich und offen, wo Numairs mürrisch und verschlossen war. Er hatte schwarze Augen, eine gerade Nase und einen Mund, der aussah, als sei er jederzeit bereit, sich zu einem Lächeln zu verziehen. Sein Bart war sauber gestutzt, sein Haar unter dem bestickten Käppchen kurz geschoren, und er trug ein kurzes Gewand über Pluderhosen und darüber eine bestickte ärmellose wollene Jacke. Doch am meisten faszinierte sie die qanun, die er auf dem Schoß hielt - das schönste und am schwierigsten zu spielende traditionelle Instrument der Stämme.
    Demnach war er ein Fremder, noch dazu einer, der zweifellos zum Gefolge von Abd al-Hadi gehörte. Khalidah hatte nicht die Absicht, das Zelt ohne Begleitung zu betreten, solange er sich darin auf hielt. Der Mann schien dies zu ahnen, denn er legte seine qanun seufzend  zur Seite, stand auf und kam auf sie zu. Khalidah wandte sich instinktiv ab, doch er packte sie am Arm und hielt sie fest. Sie wollte schreien - hätte schreien sollen -, aber irgendetwas hielt sie davon ab. Auch Jahre später konnte sie ihre Reaktion nur so erklären, dass sie eine plötzliche Erkenntnis getroffen hatte wie ein Schlag: die Erkenntnis, dass dieser Mann ihr Leben von Grund auf und unwiderruflich verändern würde.
    Der Fremde brach das Schweigen. »Wir haben keine Zeit, Sayyida  - sie werden gleich zurückkommen. Ich beschwöre dich, zu allem ja zu sagen, was sie von dir wollen.«
    »Wie bitte?« Khalidah hatte sich so weit von ihrem Schreck erholt, dass sie sich unwillig von ihm losmachen konnte.
    In seinem Seufzen schwang etwas Unabwendbares mit; seine Stimme klang leise und eindringlich. »Sayyida, die Zeit läuft uns davon. Versprich mir nur, in alles einzuwilligen, was sie von dir verlangen.«
    »Wer bist du?«, erkundigte sich Khalidah erbost. »Ein Verrückter?«
    Er lächelte, was sie an Sonnenstrahlen denken ließ, die durch eine Wolkendecke drangen. »Leider nein, das würde vieles einfacher machen. Dort … sie kommen zurück, und sie dürfen uns nicht zusammen sehen. Aber bitte, Sayyida … sag ja, und verschaffe mir etwas Zeit. Später werde ich dir alles erklären.«
    Und dann war er wieder in der dunklen Ecke des Zeltes verschwunden wie eine Maus in ihrem Loch. Khalidah sah ihm einen Moment lang verdutzt nach, doch als sie die Stimme ihres Vaters und das dröhnende Lachen ihres Onkels hörte, fuhr sie herum und floh zum maharama. Sie hatte gehofft, noch Zeit zu finden, um ihre Fassung zurückzugewinnen, bevor sie Zeyneb gegenübertreten musste, aber ihre Amme saß vor dem Zelteingang und flickte ein Kleidungsstück.
    »Sehr freundlich von dir, dass du mich mit deinem Besuch beehrst«, empfing sie Khalidah sarkastisch.
    »Hast du mich gesucht?« Khalidah bemühte sich, ihrer Stimme einen möglichst unbefangenen Klang zu verleihen.
    Zeyneb blickte auf und biss den Faden ab. Ein trockenes Lächeln spielte um ihre Lippen. »Was du und mein Taugenichts von Sohn ganz genau gewusst habt.« Aber der Tadel klang liebevoll. »Du erweist Älteren zu wenig Respekt, Khalidah. Nicht jeder ist so nachsichtig wie ich.«
    Schuldgefühle keimten in Khalidah auf, als sie die sorgenvollen Furchen auf der Stirn ihrer Amme bemerkte. »Es tut mir leid, Zeyneb.«
    »Hmm.« Zeyneb hob eine Braue. Offenbar beabsichtigte sie, ihre Strafpredigt fortzusetzen, doch nachdem sie Khalidah eingehender gemustert hatte, änderte sie ihre Meinung. »Geht es dir nicht gut? Du bist so
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