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Wuestentochter

Wuestentochter

Titel: Wuestentochter
Autoren: Sarah Bryant
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brennenden Ehrgeiz in seiner Heimat zu stillen. Als junger Mann hatte er gegen diese Ungerechtigkeit auf begehrt, ohne damals ahnen zu können, dass sich in den Unruhegebieten von Outremer schon bald sein Schicksal erfüllen würde. Seine Chance kam in Gestalt eines syrischen Emporkömmlings; eines atabeg namens Imad ad-Din Zengi. Zengi war ein kämpferischer Krieger mit einem tiefen Bewusstsein für das Unrecht, das die fränkischen Invasoren seinem Volk zugefügt hatten. Er war von dem glühenden Wunsch beseelt, die Heilige Stadt zurückzuerobern, die sie ein halbes Jahrhundert zuvor eingenommen hatten. Da er kein Mann war, der Zeit verlor, begann er seinen Feldzug damit, dass er den schwächsten Punkt der Franken angriff, die nördliche Grafschaft Edessa, die wie eine reife Frucht in die Hände seiner Mudschahedin fiel.
    Der vor Wut schäumende Papst Eugen III. beantwortete dies mit  dem Aufruf zu einem zweiten heiligen Krieg. De Châtillon und all die anderen zweitgeborenen Söhne erkannten sogleich die Möglichkeiten, die sich ihnen hier boten. 1146 nahm er das Kreuz und marschierte unter dem Banner von König Louis VII. von Frankreich gen Süden; vorgeblich, um Edessa zu rächen, aber insgeheim von dem Ehrgeiz erfüllt, in Outremer zu Macht und Wohlstand zu gelangen. Obwohl der heilige Krieg mit einer Niederlage endete, hatte er sich im Kampf bewährt und so die Hand einer reichen Witwe gewonnen.
    Trotzdem hatte es sich als schwierig erwiesen, seine Position zu halten. Etliche Leute waren der Ansicht, er habe alle seine Probleme selbst herbeigeführt. Dass er dazu beigetragen hatte, Zypern dem Erdboden gleichzumachen, trug ihm sechzehn Jahre Haft in den Verliesen von Aleppo ein; eine Zeit, während der er seinen Hass auf alles Arabische sorgsam nährte. Drei Jahre nach seiner Einkerkerung starb seine Frau, und nach seiner Freilassung heiratete de Châtillon eine weitere, sogar noch wohlhabendere Witwe. Und von allem, was Stephanie de Milly mit in die Ehe brachte, reizte ihn nichts so sehr wie das staubige Stück Land in Oultrejourdain ganz im Süden des fränkischen Königreichs.
    In den Jahren seiner Ehe mit Stephanie hatte de Châtillon - jetzt als Kerak bekannt - sich das wilde Land untertan gemacht. Franken wie Sarazenen zitterten in seinem eisernen Griff, und sogar der König wagte nicht, sich ihm zu widersetzen. Im ganzen Reich gab es in der Tat nur einen Mann, der sich Keraks Willen nicht beugte. Der Möchtegernprinz war entschlossen, diesen Mann zu brechen, und dort, direkt unterhalb der Mauern seiner Burg, sah er die Gelegenheit dazu.
    »In Euren Augen liegt ein merkwürdiger Ausdruck, Messire«, erklang eine Stimme neben Kerak. »Woran denkt Ihr?«
    Kerak wandte sich von der Karawane ab und sah Gérard de Ridefort an. Der Großmeister der Tempelritter hielt seinem Blick gelassen  stand. Seine weiße Tunika flatterte in der Morgenbrise, sein Gesicht verriet wie üblich nicht, was in ihm vorging, doch in seinen blauen Augen glomm ein Hauch von Verachtung auf, der eine heiße Welle der Wut durch Keraks Adern jagte. Obwohl sie notgedrungen ein Bündnis miteinander eingegangen waren, hegten Kerak und de Ridefort keine große Liebe füreinander, was vielleicht daran lag, dass sie sich so ähnlich waren: Auch de Ridefort hatte die Karriereleiter von ganz unten erklimmen müssen. Als jüngerer Sohn eines unbedeutenden flämischen Lords hatte er wie Kerak alle Voraussetzungen dafür mitgebracht, sich im Heiligen Land einen Namen zu machen: eine dehnbare Moral, Geschick im Umgang mit dem Schwert, das Talent, Höhergestellten nach dem Mund zu reden, und ein anziehendes Gesicht.
    Aber während Kerak sich den Weg nach oben mit dem Schwert erkämpft hatte, hatte sich de Ridefort dazu politischer Schachzüge bedient. Beide hatten einen hohen Preis dafür bezahlt, was man de Ridefort allerdings nicht ansah. Alter und Verbitterung hatten Kerak zu einem aufgeschwemmten rothaarigen Teufel mit dem rötlichen Gesicht eines Trunkenboldes gemacht, das überdies noch von einem milchig weißen blinden Auge entstellt wurde - dem Andenken an eine sarazenische Klinge, die ihn während der Schlacht auf Zypern getroffen hatte. De Ridefort, von derselben Bitterkeit zerfressen, hatte sein gutes Aussehen nicht eingebüßt. Mit seinem blonden Haar stellte er für die meisten Damen der Gesellschaft noch immer die Verkörperung des idealen Ritters dar; ein Umstand, der sich in seinem Ringen um seine momentane Position als äußerst
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