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Wuestenmond

Wuestenmond

Titel: Wuestenmond
Autoren: Federica de Cesco
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schwören. Fremde Namen, fremde Sitten, sind schlecht für uns. Sie machen uns schwach. Aber du kannst helfen.
    Wenn du die nötige Kraft hast, wirst du in die Vergangenheit reisen und die Erinnerungen zurückholen.«
    Ich saß wie erstarrt. Meine Kopfhaut prickelte, meine Arme überzogen sich mit Gänsehaut. Eine »Reisende«, das bin ich also, dachte ich. Ich war es schon immer gewesen. Aber früher hatte ich das alles noch nicht verstanden. Ich hatte ein halbes Lebensalter gebraucht, um das herauszufinden. Aber meine Zeit würde kommen.
    Ich würde älter werden, weiser, immer enger in die Weite der Wüste einbezogen. Sie würde Teil meiner selbst werden.
    Amenena lächelte nun, mit großer Zärtlichkeit und Wärme.
    »Ich sehe schon, du bist jetzt ruhiger.«
    »Es wird nicht leicht sein«, sagte ich.
    Sie warf ihren Schleier aus der Stirn.
    »Gewiß nicht. Es ist Zeit, daß die Imochar sehen, was sie mit ihrem Gedächtnis gemacht haben. Du tust das, was nötig ist, damit sie sich erinnern. Du machst ihnen ein Geschenk. Aber die Menschen haben immer eine Wahl: Ob sie es annehmen, ist ihre Sache. Mehr kannst du nicht tun. Doch heute abend will ich es sein, die dir ein Geschenk macht.«
    Sie richtete einige Worte an Kenza, die mit einem Bündel aus dem Hintergrund des Zeltes trat, das sie Amenena mit liebevoller Geste überreichte. Diese schlug behutsam den indigoblauen Stoff auseinander. Ich betrachtete den zum Vorschein kommenden Imzad.
    Er hatte die gleiche Machart wie das Instrument, das über Olivias Bett hing. Die türkisfarbenen und safrangelben Verzierungen aber, jede einzelne sauber gezeichnet, waren wie eine Spirale geformt. Es prägte sich tief in meine Wahrnehmung ein. Und ich war unsäglich erregt.
    »Olivia hat nie für mich gespielt«, sagte ich. »Sie spielte immer nur für sich selbst. Jede Nacht.«
    Amenena schüttelte sanft den Kopf.
    »Nein. Sie spielte für den Verstorbenen.«
    Stumm sah ich zu, wie sie die Saite mit einem Stück Harz einrieb, den Imzad in den angewinkelten Unterarm nahm. Behutsam führten ihre Finger den Bogen über die Saite. Ein schwingender, sehr hoher Ton, zart wie gesponnenes Glas, erfüllte das Zelt. Note an Note webend, stieg und fiel der unsichtbare Faden; es klang wie der 356
    perlende Ruf eines Vogels in der Abendstille, wie das Knistern des Schilfes im Wind. Zwischen Amenenas gelenkigen Fingern vibrierte der Bogen, als sei er selbst ein lebendes Wesen, eng verbunden mit dem Schlag ihres Herzens, dem Pulsieren ihres Blutes. Der Feuerschein, der schräg von unten hereinfiel, beleuchtete Amenenas entrücktes Gesicht, ihre halbgeschlossenen Augen. Sie schien tief auf dem Grund ihres Selbst einer Stimme zu lauschen, einer Stimme, die nur sie zu hören vermochte und deren Ton und Klangfarbe sie in die Sprache des Instrumentes übertrug. Es war die Stimme der Einsamkeit und des Schmerzes, aber auch die Stimme der Leidenschaft, des Stolzes, der grenzenlosen Freiheit. Jetzt verstand ich, warum Olivia nie gewollt hatte, daß ich sie spielen hörte; es war etwas zu Intimes, eine Sprache für sich, ein Dialog zwischen Menschen und Schatten. Doch vielleicht täuschte ich mich auch, denn plötzlich erhob sich eine andere Stimme. Es war Elias, der sang. Er saß im Zwielicht, mit untergeschlagenen Beinen, seinen Gesichtsschleier bis unter die Augen gezogen. Seine Stimme unter dem Stoff klang gedämpft und gleichwohl deutlich hörbar. Er folgte nicht dem Rhythmus des Instrumentes; ich hatte auch nicht den Eindruck, daß Amenena ihr Spiel seinen Worten anpaßte. Und trotzdem war aus beiden eine Einheit, eine seltsame Harmonie, zu spüren. So sang er eine ganze Weile, gleichsam ins Zeitlose hinein, während seine schlanken, kräftigen Hände entspannt auf den Knien lagen. Und ich folgte seiner Stimme, ließ mich mit ihr hoch in die Lüfte tragen, bis zu den Sternen, höher noch und weiter, bis zu jenem Kern der Unendlichkeit, in dem es nichts zu begreifen, sondern alles nur zu fühlen gibt. Und erst da merkte ich, daß ich seine Worte verstand.
    »Jene, die wir geworden sind,
    gehen auf Reisen.
    Jene, die wir geworden sind, sind frei,
    jene, die wir lieben, zu suchen.
    Drei Sterne auf ihrer Bahn,
    unbekannt, unbenannt.
    Der unseren gleich.
    Alle, die uns verlassen haben,
    vor hundert Jahren
    oder gestern,
    wir rufen nach ihnen.
    357
    Und sie sind immer da.«
    358
    Epilog
    D ie junge Frau machte sich auf den Weg, als der Mond hoch am Himmel stand. Soweit sie sehen konnte, schluckte die
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