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Wuestenmond

Wuestenmond

Titel: Wuestenmond
Autoren: Federica de Cesco
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Geld. Ich finde hier alles, 353
    was ich brauche. Die Menschen gehen geheilt aus meinem Zelt. Das ist mein Lohn. Wenn ich die Kraft habe, bin ich glücklich. Am glücklichsten bin ich, wenn ich jungen Müttern helfe«, setzte sie lächelnd hinzu.
    Elias erzählte, daß die Wöchnerinnen die medizinischen Stationen nur widerwillig aufsuchten.
    »Früher wurde ein besonderes Zelt abseits des Lagers errichtet. Die Frau stand zuerst aufrecht und hielt sich an einem Stab fest. Dann ging sie in die Hocke, und das Kind kam in einer sauberen Sandmulde zur Welt. Meistens half eine Hebamme dabei. Wir kennen verschiedene Mittel, um die Geburt zu beschleunigen. Die Tuaregfrauen weigern sich, liegend zu gebären. Sie wollen Herrin ihres Körpers sein.«
    Amenenas Armreifen klingelten, während sie den Zucker in kleine Stückchen schlug.
    »Wenn ich nicht mehr bin, werden die Kranken Kenza aufsuchen.
    Kenza kann alles, was ich auch kann, und manches besser als ich.«
    Sie hob ihren Blick, in dem goldene Funken tanzten.
    »Eine Zeitlang habe ich versucht, Elias zu unterrichten. Aber das ging nicht, er hörte nicht zu. Er war wie ein Jäger, der vier Tiere zugleich verfolgt – und dann mit leeren Händen im Lager ankommt.«
    Elias lachte leise.
    »Sie kennt mich gut!«
    Amenena ließ den Tee einen Augenblick ziehen, bevor sie die Kanne in Brusthöhe hob und die goldgrüne Flüssigkeit in weitem Strahl in die Gläser goß. Ich genoß die starke, betäubende Süße dieses Tees.
    Meine Müdigkeit verflog. Ich fühlte meine Gedanken, frisch und klar wie Kristall. Und doch rieb ich mir manchmal die Augen und glaubte zu träumen. Das rot beleuchtete Zelt erschien mir wie eine Zauberwelt, eine Insel inmitten der Wellen aus Sand, die einst wirkliche Fluten gewesen waren, Meeresfluten.
    Amenenas glockenklare Stimme brach die Stille.
    »Du hast Elias auf den richtigen Weg geführt. Jetzt weiß er, wozu er bestimmt ist.«
    Ich hob das Glas an meine Lippen.
    »Ich gehe nach Europa zurück.«
    »Das macht nichts. Ihr gehört zusammen, egal, wie die Dinge aussehen. Ihr werdet an den richtigen Stellen sein, wenn der Augenblick zählt.«
    354
    »Das denke ich auch«, sagte ich.
    Ich fühlte in mir die Glut des Tees, die Wärme des Feuers; ich atmete den Geruch von Holzkohle, Talg und Leder ein, den Geruch der wiedergefundenen Heimat.
    »Warum ich dich gerufen habe?« Amenena sprach langsam und deutlich, betonte jede Silbe. »Es kommt vor, daß die Ahnen ihren Nachkommen besondere Gaben schenken. Dem einen geben sie die Gabe der Musik, dem anderen die Dichtung, diesem das prophetische Wort und jenem wieder die Heilkraft. Und manchen haben sie das Sehertum verliehen. Ihr Geist nimmt viele Formen an, wandert durch Raum und Zeit. Wir nennen solche Menschen ›die Reisenden‹. Auch du bist eine Reisende. Dein Weg beginnt hier.«
    Mein Blick begegnete Amenenas Augen. Ich spürte in mir ein Frösteln und zugleich ein ungeheures Glühen. Ich flüsterte rauh:
    »Woher weißt du das?«
    Sie antwortete mit Nachdruck.
    »Ich weiß, wer du bist. Ich habe dich als kleines Mädchen gekannt und wußte es schon damals. Wer ein Auge dafür hat, erkennt solche Dinge. Aber du hast zu wenig geübt. Es muß stärker werden, besser.
    Es gibt Regeln, die beachtet werden müssen. Du darfst kein Eisen mit dir führen. Weg mit dem Eisen! Unsere Ahnen haben nie mit Eisen gejagt; ihre Waffen waren aus Holz. Oder sie benutzten Fallen und Netze. Eisen darf nie mit dem Leben in Berührung kommen. Der Mann liebt Eisen, aber die Frau ist Hüterin des Lebens. Trägst du kein Eisen, kommen dir die Tiere zu Hilfe. Du rufst die Eidechse, du rufst die Schlange. Sie werden ihre Kraft mit dir teilen. Die Eidechse ist weise, aber Tachilet, die Schlange, ist mächtig. Folge ihrer Spur.
    Der Rest ist Übung.«
    Ich strich mein verklebtes Haar aus der Stirn.
    »Wie kann ich die Schlange rufen?« fragte ich, schwer atmend.
    »Ich werde es dir zeigen. Sei geduldig. Du bist nicht umsonst gekommen.«
    Ich starrte in ihre Augen, diese Augen mit den unwahrscheinlich großen Pupillen, die wie Feuer und Samt leuchteten.
    »Und Elias?«
    »Elias ist immer da, wo du auch bist. Dein Wissen ist auch sein Wissen. Ihr werdet nie mehr einsam sein. Glaube mir, ich weiß das.
    Denkst du, daß ich im dunkeln tappe?«
    Sie drückte zärtlich mein Knie.
    »In dir ist ein großer Raum. Fülle ihn mit Erinnerungen! Unser Volk 355
    verliert sein Gedächtnis, läuft Gefahr, einem fremden Gott Ergebenheit zu
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