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Würstelmassaker

Würstelmassaker

Titel: Würstelmassaker
Autoren: Pierre Emme
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Minuten später sei ein weiterer Mann gekommen und habe den Park betreten. »Er muss betrunken gewesen sein, denn er hat ordentlich geschwankt. Und ich habe mich so geärgert und wollte schon hinunter rufen .« Es fiel ihr offenbar schwer, zu sagen, was sie so verärgert hatte.
    »Also er hat …, na, wie soll ich das ausdrücken ?« Hilfe suchend schaute sie zu Nettie.
    »Na sag doch einfach, dass er in die Anlage gepieselt, seine Notdurft verrichtet hat .« Palinskis Tante hatte im Gegensatz zu ihrer Freundin keine Probleme mit dem »schmutzigen« Wort.
    »Na ja, es ist so, wie Nettie sagt«, bestätigte Frau Wallbauer endlich, »genau das hat er getan. Dann hat er sich auf eine Bank gesetzt und dabei offenbar den ersten Mann aufgeschreckt. Der ist nämlich gleich darauf angelaufen gekommen, ins Auto gestiegen und weg war er .«
    Das würde seinen Freund Helmut sehr interessieren, dachte Palinski und wollte sich schon bedanken, doch es sollte noch besser kommen, viel besser.
    »Auffallend war auch, dass der Mann einen langen weißen Mantel anhatte«, fuhr Frau Wallbauer fort. »Ich habe mich noch gewundert, warum jemand in einer so milden, schönen Nacht einen Mantel anzieht .«
    Das waren fast dieselben Worte, die der Hamburger, also der Mann, der das Bein fand, verwendet hatte, erinnerte sich Palinski.
    Auf seine nächste Frage erwartete er eigentlich keine Antwort, wollte aber Nummer Sicher gehen.
    »Über das Auto, mit dem dieser Mann weggefahren ist, werden Sie uns wahrscheinlich nichts sagen können«, formulierte er ausgesprochen pessimistisch. Doch die alte Dame war nicht in Verlegenheit zu bringen.
    »Also nicht sehr viel. Der Wagen sah aus wie ein Kleinbus, hatte eine dunkle Lackierung, schwarz, dunkelblau oder so was. Das war bei den Lichtverhältnissen nicht genau zu erkennen .«
    »Hervorragend Frau Wallbauer«, Palinski war ehrlich beeindruckt von ihrer Beobachtungsgabe. »Sie sind eine hervorragende Zeugin, mein Kompliment .« Er stand auf.
    »Ja, wollen Sie den Rest gar nicht mehr wissen ?« , die alte Dame schien fast erbost über die Ungeduld der heutigen Jugend. »Das Beste kommt doch erst .«
    Palinski war sprachlos und setzte sich wieder.
    »So ist es besser«, anerkannte die Zeugin. »Sonst tragen Sie mir noch den Schlaf hinaus. Also, auf dem Dach des Fahrzeuges war ein roter Fleck, der sich durch das Fernglas betrachtet als Rotes Kreuz herausgestellt hat. Ich bin sicher, der Mann hat einen Krankenwagen oder etwas Ähnliches gelenkt .«

     
    *

     
    Langsam hatte Wilma genug davon, unfreiwillig Telefondienst für ihren Mario machen zu müssen. Bei seinem überstürzten Aufbruch am Morgen, der Arme hatte nicht einmal Zeit gehabt, sein Müsli aufzuessen, hatte er sein Handy liegen gelassen und stattdessen ihres eingesteckt. Das konnte schon einmal vorkommen, konzidierte Wilma, immerhin hatten sie beide das gleiche Modell. Aber dass das bereits das vierte Mal in den letzten Wochen geschehen war, gab ihr zu denken. Weitere sieben Mal hatte er sein Mobiltelefon einfach nur liegen lassen, ohne ein anderes dafür einzustecken.
    Entweder setzte bei Palinski die altersbedingte Demenz extrem früh ein, dafür gab es aber keine sonstigen Hinweise. Oder er wollte sie damit ärgern, dafür fanden sich genügend Indizien, überall und jederzeit.
    Oder aber, und dieser Erklärung neigte sie am ehesten zu, Mario hatte eine Telefonphobie. Zumindest, was das Handy betraf. Einfach Angst vor diesem immer kleiner werdenden Ding, mit dem man spielen, sich wecken lassen, Parkgebühren bezahlen und vieles mehr machen konnte. Unter anderem auch telefonieren. Dessen Tasten inzwischen so klein waren, dass er Mühe hatte, nicht zwei Ziffern gleichzeitig zu tippen und dessen penetrante Allgegenwart einen dazu zwang, permanent auf das aufdringliche Signal eines eingehenden Gespräches zu lauern.
    Nach einem ruhigen Vormittag mit zwei Nachhilfeeinheiten Französisch hatte Wilma am Nachmittag innerhalb einer Stunde 11 Anrufe für Palinski entgegen nehmen müssen. Das bedeutete zu allererst erst einmal den Triumphmarsch in einer scheußlichen polyphonen Variante. Und das im Durchschnitt alle 327 Sekunden »Verdi at its worst«, zum Abgewöhnen. Wilma liebte Opern, aber das war einfach zu viel gewesen. Dennoch hatte sie wie ein biologischer Anrufbeantworter auf jedes Gespräch reagiert. Dabei aber unwahrscheinlich viel Verständnis, ja sogar Sympathie für die neu geschaffene Disziplin des Handyweitwerfens entwickelt. Mit dem
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